Risikoabschätzung für den Schienengüterverkehr am Beispiel Flusshochwasser

Hintergrund und Ziele

Die Gefahren des Klimawandels, etwa negative Auswirkungen durch Extremwetterereignisse, betreffen die Verkehrsinfrastruktur sowie die Transportaktivitäten in besonderem Maße. Um geeignete Anpassungsmaßnahmen zu treffen, ist eine Abschätzung der möglichen regionalen Effekte notwendig. Im Zentrum der vorliegenden Analyse steht die Frage, wie sich die Empfindlichkeit der regionalen Verkehrssysteme gegenüber den Klimagefahren adäquat abbilden lässt. Dabei soll nicht nur das Vorhandensein von Verkehrsinfrastruktur allein berücksichtigt werden, sondern auch deren tatsächliche Nutzung. Dazu wird exemplarisch das Risiko für den Schienengüterverkehr gegenüber Flusshochwassergefahren analysiert. Zudem werden aggregierte Maßzahlen der Verkehrsbedeutung zur Abbildung der Empfindlichkeit entwickelt. Diese Maßzahlen umfassen die infrastrukturelle Ausstattung, das Schienengüterverkehrsaufkommen sowie die Schienenverkehrsleistung in den Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland. Sie beschreiben das System Schiene bzw. den Schienengüterverkehr aus verschiedenen Perspektiven. Der (regionalen) Schienenverkehrsleistung als aussagekräftigstem ⁠Indikator⁠ der Verkehrsbedeutung werden schließlich im Rahmen einer Risikoabschätzung Daten zur regionalen Flusshochwassergefahr gegenübergestellt. Die Abschätzung zeigt, dass künftig Flusshochwässer (wie schon heute) in einigen verkehrlich sehr bedeutsamen Teilräumen Deutschlands große Beeinträchtigungen im Schienengüterverkehr verursachen können.

Laufzeit

Untersuchungsregion/-raum

Land
  • Deutschland
Bundesland
  • Bundesweit

Schritte im Prozess zur Anpassung an den Klimawandel

Schritt 1: Klimawandel verstehen und beschreiben

Ansatz und Ergebnisse 

Flusshochwasser war in den letzten Jahren in Deutschland für Schäden in Milliardenhöhe verantwortlich. So wurden verschiedene Regionen Süd- und Ostdeutschlands im Frühjahr 2013 von folgenschweren Überflutungen getroffen, deren Gesamtschaden von der MunichRE auf rund 12 Mrd. Euro beziffert wurde. Nur 2,4 Mrd. Euro davon waren versichert. Das Hochwasser hatte zum Teil schwerwiegende verkehrliche Auswirkungen mit Unterbrechungen von Verkehrsverbindungen des Personen- und Güterverkehrs. Besonders betroffen war die Schienenverbindung zwischen Nord- bzw. Westdeutschland und Berlin, die wesentlich über die Schnellfahrstrecke Hannover–Berlin geführt wird. In Folge des Elbehochwassers musste im Juni 2013 die strategisch bedeutende Brücke bei Hämerten (Sachsen-Anhalt) gesperrt werden. Obwohl die Brücke durch das Hochwasser selber nicht beschädigt wurde, konnte der reguläre Bahnbetrieb aufgrund der Überflutung des umgebenden Streckenabschnitts erst rund fünf Monate später wieder aufgenommen werden. Verkehre mussten umgeleitet werden, es kam zu Zugausfällen und für die Deutsche Bahn zur Notwendigkeit, einen Ersatzfahrplan einzurichten.

Für die Entstehung von Hochwässern ist eine Reihe von meteorologischen Faktoren verantwortlich. Dazu gehören Entstehung und Verlauf von Wetter¬lagen, Regenintensität, räumliche und zeitliche Regenverteilung sowie die Zugbahnen der Regenereignisse. Das Ausmaß der Schäden durch Flusshochwässer ist jedoch nicht nur von der Intensität und Verteilung von extremen Regenfällen oder einer Durchfeuchtung der Einzugsgebiete durch Vorregen abhängig, sondern wird auch durch anthropogene Faktoren mitbestimmt. Indirekten Einfluss haben insbesondere Faktoren wie die Versiegelung der umgebenden Landschaft und die Ausweitung von Siedlungsflächen in die Überschwemmungsgebiete. Zusätzlich spielen Bodenstruktur, -bearbeitung und -bewuchs eine wesentliche Rolle. Eine degradierte Vegetationsdecke, gesättigtes Bodengefüge oder Undurchlässigkeit und damit eingeschränkte Aufnahme- und Haltefähigkeit der Böden können zu einem schnellen und unkontrollierten Oberflächenabfluss beitragen. Wenn sich Flusstäler zusätzlich noch durch steile Hänge auszeichnen, ist die Gefahr durch Sturzfluten besonders hoch. Sturzfluten werden allerdings in dieser Publikation nicht behandelt. In der Folge von lokalen Hochwässern können zudem Hangrutschungen und Muren einsetzen, mit denen das Schadenspotenzial für die Verkehrsinfrastruktur und andere Bauwerke weiter ansteigt.

Bei Flusshochwässern, Murenabgängen oder Hangrutschungen treten i.d.R. lokale Phänomene, d. h. relevante Gefahren oder Gefahrenprozesse für betroffene Bauwerke (z. B. Brücken) auf, die deren Nutzung beeinträchtigen. Dazu gehören beispielsweise Verklausungen (Druckaufbau und Belastung des Bauwerks durch Ansammlung großer Mengen losen Materials), Anprallungen (Zusammenstoß von losem Material mit Brückenpfeilern oder Aufbauten) oder das Aufweichen, d. h. der „Steifigkeitsverlust“ von umgebenden Böden infolge einer über längeren Zeiträumen hinweg wirkenden starken Wasserbelastung.

Da Flusshochwässer mit großer Wahrscheinlichkeit direkt durch die zu erwartenden Klimaänderungen wie insbesondere das häufigere Auftreten von regenreichen Tiefdruckgebieten über Mitteleuropa im Winter beeinflusst werden, wird in einschlägigen Studien davon ausgegangen, dass bis Ende des 21. Jahrhunderts eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Flussüberschwemmungen gegenüber dem heutigen Auftreten solcher Ereignisse möglich ist. Tritt dies ein, werden auch die negativen Folgen für den Verkehrssektor und andere soziotechnische Sektoren zunehmen.

Parameter (Klimasignale)
  • Flusshochwasser

Schritt 2a: Risiken erkennen und bewerten (Klimafolgen/-wirkungen)

Analyseansatz 

In diesem Projekt wird das Risiko für den Schienengüterverkehr in Deutschland gegenüber Flusshochwassergefahren abgeschätzt. Dazu werden Verkehrsnachfragedaten sowie das Transportstrom-Visualisierungs-Modell (TraViMo) des BBSR und Geographische Informationssysteme genutzt. Damit werden vorliegende Analysen ergänzt, die Klimawirkungen oder –gefahren oft nur auf die Verkehrsinfrastruktur, nicht aber auf deren tatsächliche Nutzung beziehen.

Die potenziellen Auswirkungen von Flusshochwässern auf den Schienengüterverkehr werden nun abgeschätzt, indem die Flusshochwassergefahr, denen die Kreise und kreisfreien Städte rund um das Jahr 2030 ausgesetzt sind, der prognostizierten verkehrlichen Bedeutung dieser Räume im gleichen Zeitraum gegenüber gestellt wird. Für die verkehrliche Bedeutung wird der ⁠Indikator⁠ „Verkehrsleistung“ genutzt. Er adressiert gleichzeitig verkehrsinfrastrukturelle und logistische, d. h. die Transportströme betreffende Aspekte, und bildet eine gedankliche Klammer zwischen der Ausstattung mit Schieneninfrastruktur in den Kreisen und ihrer tatsächlichen Nutzung. Zudem stellt die ⁠Verkehrsleistung⁠ einer Region stärker als die beiden anderen Indikatoren ihre großräumige Verbindungsfunktion heraus.

Mit dem Schienengüterverkehr wird in der Risikoabschätzung ein Teilbereich des Verkehrssystems herausgegriffen, dessen spezifische ⁠Vulnerabilität⁠ gegenüber den Gefahren des Klimawandels höher eingeschätzt werden muss als etwa beim Straßenverkehr. Obwohl die Reaktionsfähigkeit des (deutschen) Schienenverkehrssektors auf wetterbedingte Schäden allgemein als hoch eingeschätzt wird, erschwert das vergleichbar grobmaschige Netz beispielsweise eine kurzfristig notwendige Umleitung der Güterverkehrsnachfrage.

Bei Streckenunterbrechungen ist das Ausweichen auf andere Routen zwar nicht unmöglich, das Beispiel der Sperrung der Rheintalstrecke bei Rastatt im Sommer 2017 hat jedoch gezeigt, dass die Nutzung parallel verlaufender Infrastruktur wie die Strecke durch das Elsass oder die Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen durch abweichende (internationale) Zulassungsstandards, Kapazitätsbeschränkungen oder laufende Sanierungsmaßnahmen auf den redundanten Strecken eingeschränkt ist. Schienenverkehrskorridore mit teils hoher Nutzungsintensität durch den Personen- und Güterverkehr verlaufen aufgrund wirtschaftlicher und technischer Notwendigkeiten sowie der historisch gewachsenen Infrastruktur oft in den Tallagen von großen Flüssen. Damit befindet sich die Verkehrsinfrastruktur oft in unmittelbarer Nähe von oder sogar mitten in potenziellen Überschwemmungsgebieten von Flüssen. Deutschlandweit ist dies in den Tallagen vieler großer und kleinerer Flussläufe der Fall, etwa entlang des Rheins und der Flüsse Donau, Elbe und Weser. Bei extremen Hochwasserereignissen können die folgenden Infrastrukturelemente der Eisenbahn betroffen sein:

  • Fahrweg (Untergrund und Unterbau, Oberbau sowie Oberleitungen)
  • Brücken und Tunnel
  • Stellwerke
  • (Bahnhofs-)Gebäude
  • Umschlagseinrichtungen wie Umschlagsbahnhöfe oder Terminals des kombinierten Ladungsverkehrs (KLV)
  • Umspannwerke

Diese Anlagen haben i.d.R. einen hohen finanziellen Wert und sind für den reibungslosen Betrieb des Schienenverkehrs von essenzieller Bedeutung. Der Bahnbetrieb ist jedoch nicht nur auf die Funktionsfähigkeit der Schieneninfrastruktur selber angewiesen, sondern auf das Zusammenspiel einer Reihe von am Transport direkt beteiligten öffentlichen und privaten Akteuren wie Eisenbahnverkehrsunternehmen oder der Zugsicherung. Darüber hinaus besteht eine starke Abhängigkeit von der Funktionalität weiterer Infrastruktur- und Dienstleistungsbereiche wie der externen Stromversorgung oder der Telekommunikation, was die Koordination möglicher Notfall- sowie Vorsorge-und Adaptionsmaßnahmen gegenüber Risiken insgesamt erschwert und zu einer höheren systembedingten Anfälligkeit des Verkehrsträgers Schiene beiträgt. Schließlich werden (bauliche) Maßnahmen zur Reduktion der Vulnerabilität bzw. zur Anpassung des Systems an den ⁠Klimawandel⁠ aus betriebswirtschaftlichen Gründen oft auf strategisch-bedeutende Netz-Abschnitte und Neubaumaßnahmen fokussiert. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Funktionalität des Gesamtsystems Schiene in Katastrophenfällen von der Vulnerabilität nachrangiger Infrastruktur-elemente bzw. von Abschnitten des Bestandsnetzes abhängt, die bei entsprechenden Maßnahmen des Infrastrukturbetreibers nicht bedacht worden sind oder die eine abweichende Herangehensweise erfordern.

Describe here, which approach for the vulnerability analysis, risks and/or chances is/was used within your project and which results emerged from it or are expected

Ansatz und Risiken / Chancen 

Methodisches Vorgehen zur Abschätzung von ⁠Sensitivität⁠ der regionalen Verkehrssysteme gegenüber Gefahren durch ⁠Flusshochwasser⁠ anhand aggregierter Maßzahlen ist wiefolgt:

  • Anwendung von Verkehrsnachfragedaten sowie von Transportstrom-Visualisierungs-Modell (TraViMo) des BBSR und Geographische Informationssysteme
  • Sensitivität des Verkehrssystems als verkehrliche Bedeutung von Räumen (Kreise und kreisfreie Städte) für den Schienengüterverkehr zu verstehen: Operationalisierung mithilfe von Daten zur Schieneninfrastruktur und Transportströmen im Güterverkehr auf Schiene
  • Relatives Ausmaß der regionalen Hochwassergefahr (potenzielle Überschwemmungsflächen) wird mit verkehrlicher Bedeutung in Beziehung gesetzt: 3 Indikatoren der verkehrlichen Bedeutung: Niveau der verkehrsstrukturellen Ausstattung in Kreisen und Städten anhand von Schienenlänge in km in jeweiligem Kreis; Güterverkehrsaufkommen in Tonnen, Länge der Schienenstrecke in einem Raum in ⁠Tonnenkilometer
  • Abschätzung für das Jahr 2030 berechnet - Risikoabschätzung durch Gegenüberstellung von Flusshochwassergefahr und verkehrlicher Bedeutung

Der Schienengüterverkehr wird regional unterschiedlich von den Gefahren durch Flusshochwässer betroffen sein. Die Analyse zeigt, dass nicht alle Kreise und Städte mit hoher Flusshochwassergefährdung auch Räume mit einer im bundesdeutschen Maßstab großen Verkehrsbedeutung sind. Sie zeigt aber auch, dass Flusshochwässer in einigen verkehrlich sehr bedeutenden Teilräumen Deutschlands zu großen Beeinträchtigungen des Schienengüterverkehrs führen können, deren Auswirkungen deutlich über die direkt betroffenen Räume hinausgehen würden. Hier sind vor allem die Großräume Hamburg und Bremen zu nennen, deren wichtige Schnittstellen zum Seeverkehr eine große wirtschaftliche Bedeutung für viele Regionen in Deutschland haben. Diese und weitere durch Flusshochwässer bedrohte Regionen entlang der großen Flusssysteme Elbe, Weser, Rhein und Donau werden auch in der näheren Zukunft wichtige Logistik- sowie Verbindungs- und Transitfunktionen im Bereich des Schienenverkehrs wahrnehmen. Die Effekte temporärer Unterbrechungen der Schienenverbindungen in diesen Regionen werden sich wegen der vielseitigen Verkehrsverflechtungen auch in anderen Regionen Deutschlands bemerkbar machen. Festzuhalten bleibt, dass eine potenziell starke ⁠Klimawirkung⁠, d. h. die Kombination aus hoher räumlicher ⁠Exposition⁠ sowie Sensitivität, darauf verweist, dass in den betroffenen Regionen überprüft werden sollte, ob bereits ausreichende Maßnahmen zur Anpassung der Verkehrsinfrastruktur an mögliche Hochwasserereignisse realisiert wurden oder geplant sind.

Wer war oder ist beteiligt?

Projektleitung 

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)

Ansprechpartner

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)

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Handlungsfelder:
 Raumplanung, Stadt- und Siedlungsentwicklung  Verkehr und Verkehrsinfrastruktur  Wasserhaushalt und Wasserwirtschaft