Risiken und Chancen im Umgang mit der Corona-Krise

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie wird gerade sehr viel Geld ausgegeben. Werden die Mittel klug genutzt, kann auch beim Klimaschutz viel erreicht werden.
"Jetzt fehlt nur noch eine Invasion der Außerirdischen", schrieb mir am Wochenende eine befreundete Journalistin.

Risiken und Chancen im Umgang mit der Corona-Krise

Blogartikel von Prof. Dr. Dirk Messner

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie wird gerade sehr viel Geld ausgegeben. Werden die Mittel klug genutzt, kann auch beim ⁠Klimaschutz⁠ viel erreicht werden.

"Jetzt fehlt nur noch eine Invasion der Außerirdischen", schrieb mir am Wochenende eine befreundete Journalistin. Sie brachte damit die außergewöhnliche Situation, in der sich unsere Gesellschaften derzeit befinden, auf den Punkt. In den kommenden Monaten entscheidet sich, wie wir durch die Zwanzigerjahre kommen.

Wir befinden uns gerade in einer Situation, die Experten als einen perfekten Sturm bezeichnen – eine mehrdimensionale Krise, in der sich wechselseitig verstärkende Dynamiken großen Schaden anrichten können. Drei Kräfte müssen derzeit gleichzeitig gebändigt werden, was möglich ist, aber keineswegs sicher.

Da wäre, erstens, die Corona-Krise: Wenn wir die Verbreitung des Virus nicht in den Griff bekommen, die Gesundheitssysteme kollabieren und ein hoher ökonomischer und sozialer Schaden entsteht, gefühlte und reale Ungerechtigkeiten zunehmen, dann wären am Ende des Jahres die autoritären Nationalisten wieder da, von denen im Augenblick (in den meisten Ländern zumindest) kaum jemand etwas hören möchte. Verläuft die Bekämpfung der Corona-Krise unglücklich, schwächt das die Wirtschaft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Ein Kraftakt zur Eindämmung der Corona-Krise ist daher auch politisch dringend notwendig. Er setzt eine funktionierende Strategie voraus, verlangt aber auch nach Haltung. Das hat vielleicht Bill Gates am eindringlichsten formuliert: "Glauben Sie mir. Die Wirtschaft können wir wieder aufbauen. Die Toten wieder zurückholen nicht."

Zweitens, der ⁠Klimawandel⁠: Wenn die Corona-Krise alle Kräfte absorbiert und uns den Blick auf den Klimawandel verbaut, steht uns ein äußerst schwieriges 21. Jahrhundert bevor. Die Folgen einer immer stärker werdenden globalen Erwärmung sind vielfach beschrieben. Das Erdsystem könnte in Kipppunkte hineinlaufen: Der Grönländische Eisschild, dessen Abschmelzen sieben Meter Meeresspiegelanstieg implizierte, würde irreversibel zerstört. Und das Monsunsystem in Asien oder der Amazonasregenwald würden massiv beschädigt, mit schwerwiegenden Folgen für die Verfügbarkeit von Wasser und die Ernährung der dortigen Bevölkerung. Der Klimawandel kann (wie die Corona-Krise) nur noch durch schnelles, ambitioniertes Handeln eingedämmt werden.

Drittens ist die Situation in den ärmeren Ländern von entscheidender Bedeutung: Man mag sich nicht vorstellen, welche humanitären Katastrophen Corona beispielsweise in Afrika anrichten könnte, wenn sich das Virus dort ausbreitet. In ärmeren Ländern sind die Gesundheitssysteme oft schwach und viele Menschen leben in Slums auf engstem Raum zusammen. Noch schlimmer sieht es in Flüchtlingslagern aus, beispielsweise in Idlib. Wir wissen, das sozioökonomische Zusammenbrüche zu Gewalt führen und letztlich ganze Staaten daran scheitern können. Humanitäre Desaster werden dann zu Fragen der internationalen Sicherheit. Nebenbei sei hier erwähnt, dass es ebenfalls nicht irrelevant für die internationale Ordnung ist, wie die USA und andere westliche Staaten im Vergleich zu China durch die Corona-Krise kommen.

Radikale Maßnahmen möglich

Die skizzierten Krisen gegeneinander auszuspielen, kann und darf unser Handeln nicht bestimmen. Die Herausforderung besteht darin, an den drei Fronten zugleich erfolgreich zu sein, um gut durch die Zwanzigerjahre zu kommen und Chancen für Veränderungen zur ⁠Nachhaltigkeit⁠ zu erhalten oder gar zu vergrößern.

Was wir über Krisen wissen – und daraus lernen können

Einerseits vertrauen Menschen und Organisationen in Situationen, die durch große ⁠Unsicherheit⁠, Angst und Existenzsorgen geprägt sind, auf Routinen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Dies ist ein Schutzmechanismus, um Sicherheit und Kontrolle zurückzugewinnen. Dieser Reflex erschwert es jedoch oft, wichtige, zukunftsorientierte Innovationen – beispielsweise in Richtung Nachhaltigkeit – anzugehen. Krisen können cognitive lock-ins, Verharren in Vergangenheitsstrukturen, auslösen. Deshalb braucht es starke Stimmen, die zeigen, wie Zukunftsinvestitionen so gestaltet werden können, dass sie auch die Ängste und Verunsicherungen im Hier und Jetzt adressieren.

Andererseits sind Krisen oft auch Momente, in denen Veränderungen möglich sind, die unter Normalbedingungen undenkbar wären. Die radikalen Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, sind selbst Beispiele dafür. Ähnliche Erfahrungen haben wir in der globalen Finanzmarktkrise 2008 gemacht, in der plötzlich sogar Banken verstaatlicht wurden.

Solange alles zu funktionieren scheint, haben Entscheidungsträger geringe Anreize, grundlegende Veränderungen anzugehen. In der Krise wird dagegen händeringend nach neuen Lösungen gesucht. Michael Cohen, James March und Johan Olsen haben diese Phänomene schon 1972 in ihrer Garbage-can-Theorie beschrieben. Ob sich in der aktuellen Situation eher die retardierenden Momente der Krise durchsetzen oder sich Möglichkeiten für ambitionierte Investitionen in Nachhaltigkeit und sozial-ökologischen Wandel durchsetzen, hängt von den gesellschaftlichen Diskursen ab. Jetzt, in den Wirren der Krise, wird um die Deutungshoheit über die Zukunft gerungen. Wie und mit welchen Konzepten sich die Nachhaltigkeits- und Umweltforschung sowie die Politik nun einmischt, um Unsicherheit in Zukunftszuversicht zu verwandeln, ist daher von großer Bedeutung.

Jetzt Zukunft schaffen

Zukunftsperspektiven und kreative Lösungen entstehen meist aus einer Kombination bereits existierender Möglichkeiten. Anders ausgedrückt: Die meisten Innovationen, die wir nun brauchen, sind bereits vorgedacht. Sie müssen an die jetzige Situation angepasst und aus den Perspektiven der drei Kräfte des perfekten Sturms neu bewertet werden.

Für den Moment sind drei Dinge wichtig: Erstens muss der Kampf gegen das Coronavirus mit dem gegen Klimawandel und Umweltkrisen verbunden werden. Durch Konjunkturpakete und öffentliche Strukturinvestitionen muss die Corona-geschädigte Ökonomie so reaktiviert werden, dass Beschäftigung stabilisiert sowie zugleich Klimaschutz und Fairness vorangebracht werden. Der Ausbau von Infrastrukturen für Elektromobilität kann beschleunigt, die energetische Sanierungsquote für Gebäude verdoppelt sowie Basisstrukturen für grünen Wasserstoff aufgebaut werden. Das Umweltbundesamt und andere Nachhaltigkeitsinstitutionen sollten jetzt mit den Wirtschaftsforschungs- und Innovationsinstituten kooperieren, damit ökonomische und sozial-ökologische Vernunft zusammenfinden. Im Ergebnis könnten wir zukunftsfähige Wirtschaftsstrukturen schneller schaffen als dies unter Normalbedingungen möglich gewesen wäre. Die Krise würde zur Chance werden.

Zweitens ist die mittelfristige Perspektive auf die Lehren aus der Corona-Krise für zukünftige Wohlfahrtskonzepte wichtig: Der Nachhaltigkeitsdiskurs wird sich durch die Corona-Krise verändern. Die ⁠Resilienz⁠, also die Widerstandsfähigkeit und Robustheit von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen, wird an Aufmerksamkeit gewinnen. Zudem wird die enorme Bedeutung öffentlicher Güter durch die Krise sichtbarer – wie beispielsweise der Zugang zu funktionierenden Gesundheits- und Wissenschaftssystemen. Durch die Corona-Krise werden gleichzeitig Lebensstile denkbarer, die Nachhaltigkeit unterstützen, in der Mobilität, dem Konsum, der Ernährung, unserem Umgang mit Natur. Diese Chance sollten wir nutzen. Die Digitalisierung wird durch die Corona-Krise einen Sprung nach vorn machen. Deshalb ist es umso dringender, Nachhaltigkeits- und Digitalisierungstransformationen endlich zu koppeln.

Drittens werden wir ohne globale Kooperation scheitern: Diese Lehre ist angesichts von Finanzmarktkrisen, Klimawandel, grenzüberschreitenden Wanderungsbewegungen sowie grenzüberschreitenden Krankheiten wie Ebola und Corona im Grundsatz richtig, aber leichter formuliert als realisiert. De facto wird der Multilateralismus seit einigen Jahren durch eine Vielzahl von Nationalisten auf der ganzen Welt geschwächt. Und der erste Impuls in der Corona-Krise ist ebenfalls Abschottung.
Europa sollte jetzt zwei Dinge tun, um in der derzeitigen Krise als Kooperationsverstärker zu wirken. Die EU sollte ein klares Bekenntnis zur Umsetzung des Green Deal der EU abgeben und ihn mit den Corona-Konjunkturpaketen verknüpfen.  Zweitens sollten die EU-Länder und die G20-Staaten wirksame Hilfen für die von Corona bedrohten Gesellschaften Afrikas und andere arme Länder in ihre Konjunkturpakete einbauen – aus humanitären Gründen, internationaler Solidarität und Eigeninteresse.
Wenn alles gut geht, könnten 2020/21 zu Wendejahren in Richtung zukunftsfähiger Wirtschaften und Gesellschaften werden. Das ⁠Szenario⁠ eines perfekten Sturms zeigt aber auch, dass es ganz anders kommen kann.
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Autor:

Der international renommierte Nachhaltigkeitsforscher Prof. Dr. Dirk Messner übernahm zum 1. Januar 2020 das Amt des ⁠UBA⁠-Präsidenten. Er trat die Nachfolge von Maria Krautzberger an, die zum Jahresende 2019 in den Ruhestand ging.

Prof. Dr. Dirk Messner war zuletzt Direktor des „Institute for Environment and Human Security“ an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn und Ko-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung.

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