Umweltbundesamt: Wie ist die Situation des Verkehrs in Lindau?
Jaime Valdés: Die Stadt Lindau ist mit ihrer direkten Lage am Bodensee ein attraktiver Wohnstandort mit sehr hohem Freizeitfaktor. Der Sitz von einigen größeren Arbeitgebern im Stadtgebiet, die direkte Grenzlage zu Österreich sowie die Nähe zur Schweiz führen darüber hinaus zu starkem Pendelverkehr. Die intensive Belastung des Straßennetzes erhöht die Emissionen und belästigt die Anwohnerschaft. So entstehen an einzelnen Knotenpunkten zeitweise Rückstaus, die den Verkehrsfluss im Stadtgebiet deutlich beeinträchtigen. Die kleineren Wohnstraßen und Stadtteilverbindungen weisen hingegen weitestgehend geringe Verkehrsbelastungen auf.
In der Tourismushochsaison kommt es zu einem Anstieg der Verkehrsmengen und somit zu einer deutlichen Verschärfung der Probleme. Besonders die Zufahrten zur Insel sowie der Parkraum vor und auf der Insel sind stark von den zusätzlichen Verkehrsbelastungen betroffen. Die kurzen Wege im Stadtgebiet schlagen sich in einem hohen Fuß-und Radverkehrsanteil nieder. So ist das Fahrrad sowohl für Einwohnerinnen und Einwohner als auch für Touristinnen und Touristen ein wichtiges Verkehrsmittel, um Freizeit- und Alltagswege zurückzulegen. Darüber hinaus verfügt Lindau über ein sehr gutes ÖPNV-Angebot mit einem ganztägigen 30-Minuten-Takt des Stadtbusses. Eine hohe Haltestellendichte im Stadtgebiet sichert die Erschließung nahezu aller städtischen Siedlungsflächen.
Seit 2018 spielen Intermodalität (also die Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel) sowie die Nutzung des Mobilitätsverbundes eine wichtige Rolle. So wurden im Rahmen des KLiMo (Klimafreundliches Lindauer Mobilitätskonzept) zehn B+R-Anlagen mit insgesamt 470 Fahrradständern gebaut – insbesondere an den Endhaltestellen des Stadtbusses und den Bahnhaltepunkten. Damit konnte der Umweltverbund aus ÖPNV und Fahrrad in Lindau deutlich verbessert werden. Der Betritt in den BODO (Bodensee-Oberschwaben-Verkehrsverbund) erleichtert die Nutzung verschiedener Verkehrsanbieter und fördert die Multimodalität (Nutzung verschiedener Verkehrsmittel). Die Stadt hat außerdem eine neue multimodale Mobilitäts-App „Mobility Choices“ ausprobiert, mit der Nutzerinnen und Nutzer eine Route mit verschiedenen Verkehrsträgern planen können.
Mit dem KLiMo liegt das erste verkehrliche Gesamtkonzept vor, welches der Politik, der Verwaltung und der Bürgerschaft als Leitlinie für die zukünftige Verkehrsentwicklung der Stadt bis zum Jahr 2030 dienen soll.
Umweltbundesamt: Warum hat sich Lindau an der EMW beteiligt?
Jaime Valdés: Der Lindauer Stadtrat hat das KLiMo 2017 einstimmig beschlossen. Es soll einerseits Mobilität ermöglichen und fördern, andererseits den Verkehr so stadt- und umweltverträglich wie möglich gestalten. Die Teilnahme an der EMW dient in diesem Zusammenhang als bewusstseinsbildende Maßnahme und soll die Bevölkerung für das Thema sensibilisieren.
Umweltbundesamt: Was waren die erfolgreichsten Aktionen?
Jaime Valdés: 2018 gab es insgesamt sieben Aktionstage, an denen alle Lindauer Bürgerinnen und Bürger mehr über nachhaltige Mobilität erfahren konnten. Besonders erfolgreich waren der Park(ing) Day und der Elektromobilitätstag.
Am Freitag, den 21.09. von 10:00 bis 20:00 Uhr fand der Park(ing) Day statt: Hier haben Bürgerinnen und Bürger, Gewerbetreibende und Interessierte den Platz, den sonst parkende Autos einnehmen, in einen temporären öffentlichen Park verwandelt. Die Veranstaltungsidee ist so einfach wie überzeugend: Die Flächen der markierten Stellplätze werden temporär zum öffentlich zugänglichen Ort für alle.
Am Samstag, den 22.09. organisierte die Stadt zusammen mit dem Einkaufzentrum „Lindaupark“ und den Stadtwerken Lindau von 10:00 bis 18:00 Uhr den Elektromobilitätstag. Auf dem Vorplatz des Lindauparks und in der Rickenbacher Straße, die an diesem Tag gesperrt war und als Teststrecke diente, drehte sich alles um die nachhaltige und klimafreundliche Art dieser Fortbewegungsart mit vielen Informationen und praktischen Tests.
Umweltbundesamt: Hat die Kampagne zu Veränderungen in der Stadt geführt?
Jaime Valdés: Der wichtigste Vorteil der Teilnahme an der EMW ist die Bewusstseinsbildung für nachhaltige Mobilität. Die Woche bietet uns eine großartige Plattform, um Pilotprojekte zu testen und dient gleichzeitig als Sensibilisierungsmaßnahme für nachhaltige urbane Mobilität in Lindau. Für mich als Planer ist dies auch die perfekte Gelegenheit, einige der geplanten Maßnahmen auszuprobieren, um die Akzeptanz bei der Bürgerschaft abzuklopfen. Wir haben viele ehrgeizige Maßnahmen, wie den Einsatz von Wassertaxis und die Wiederbelebung historischer Plätze. Die Umsetzung dieser Pilotmaßnahmen während der EMW ist für uns wirklich hilfreich, um unsere Ziele zu erreichen.
Umweltbundesamt: War die Organisation sehr aufwändig? Wie viele Akteure waren beteiligt?
Jaime Valdés: In Lindau koordiniert der Fachbereich Mobilitätsplanung der Garten- und Tiefbaubetriebe (GTL) die Kampagne. Letztes Jahr waren mehrere Stakeholder aktiv eingebunden, beispielsweise die Lokale Agenda 21, der AK Verkehr, der Lindaupark, die Stadtwerke Lindau, Bodensee Mobil, der Verkehrsverbund BODO, der Stadtverkehr Lindau, Fahrradgeschäfte, Elektrofahrzeugenanbieter und die Polizei.
Wichtigste Planungsschritte waren:
- Organisationstreffen mit dem AK Verkehr
- Detailplanung der Aktionstage
- Stakeholderanfragen für eine mögliche Beteiligung
- Planungstreffen mit allen Beteiligten für jeden Aktionstag
- Implementation und Durchführung
Umweltbundesamt: Sind die Materialien der Nationalen Koordinierungsstelle und der EU hilfreich?
Jaime Valdés: Ja, alle Materialen sind sehr hilfreich, vor allem für Kommunen, die sich noch nicht beteiligt haben. Dem Leitfaden können die Organisatoren mehrere Beispiele und gute Ideen entnehmen. Sie liefern Inspiration und praktische Anregungen für eine Teilnahme.
Umweltbundesamt: Hat es eine Wirkung vor Ort, dass Lindau den EMW-Preis gewonnen hat?
Jaime Valdés: Die Mobilitätsabteilung arbeitet seit 2015 an der Verbesserung der Mobilität in Lindau und seit 2017 an der Umsetzung der KLiMo-Maßnahmen. 2018 nahm Lindau zum zweiten Mal an der EMW teil und wurde von einer internationalen Jury zum zweiten Mal in Folge als einer von drei Finalisten in der Kategorie für Gemeinden mit weniger als 50.000 Einwohnern ausgewählt. Der EMW-Preis wird von der EU-Kommission verliehen.
Seit der EMW-Teilnahme haben wir festgestellt, dass das Bewusstsein für unsere vielen Mobilitätsprojekte bei unseren Bürgerinnen und Bürgern stärker geworden ist. Der Gewinn dieser Auszeichnung wird uns hoffentlich dabei unterstützen, all unsere ehrgeizigen Maßnahmen umzusetzen und die Klimaziele der Stadt zu erreichen. Als kleine Gemeinde sind wir wirklich stolz auf diese Leistung. Nicht umsonst wurden wir als erste deutsche Kommune mit einem EMW-Preis ausgezeichnet.
Umweltbundesamt: Welchen Tipp kann Lindau anderen Kommunen mit auf den Weg geben?
Jaime Valdés: Das Hauptziel der Städte sollte nicht nur darin bestehen, diese Auszeichnung zu gewinnen, sondern ihre Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, nachhaltige Mobilitätsoptionen auszuprobieren und im Alltag zu nutzen! Maßnahmen zur Förderung einer nachhaltigen städtischen Mobilität müssen gut kommuniziert werden, damit die Öffentlichkeit sie wahrnimmt. Die Förderung einer nachhaltigen Mobilität hängt nicht nur von neuen Infrastrukturmaßnahmen ab. Kommunikation ist der Schlüsselfaktor für Politik, Stadtverwaltung und Bürgerschaft. Nachhaltige Mobilität können wir durch Aufklärung, Motivation und Verhaltenskommunikation erreichen. Wenn eine Stadt bei der EMW erfolgreich sein will, ist es hilfreich, sich auf das Jahresmotto der Kampagne zu konzentrieren. Außerdem sollten so viele Stakeholder wie möglich eingebunden werden. Auf eine gute Kommunikationsstrategie und Marketingkampagne für die ganze Woche achtet die Jury außerdem.