Lokale Fischexpertise für Gewässerentwicklung einbinden
Fischfans verbringen viel Zeit an ihren "Hausgewässern". Sie kennen die Ansprüche ihrer Fische. Angel- und Fischereivereine engagieren sich in der Gewässerpflege und –entwicklung. Ihr praktisches Wissen und Engagement kann zu Erfolg und Akzeptanz von Renaturierungsprojekten beitragen.
Angel- und Fischereivereine in Gewässerrenaturierung einbinden
Damit bei Renaturierungen die "Interessen" der Fische vertreten werden, ist es wichtig die ortskundige Fischexpertise frühzeitig einzubeziehen. Erfahrene Angel- und Fischfans kennen ihre Gewässer und die Lebensweise "ihrer" Fische genau. Sie können auf Grundlage ihrer Beobachtungen häufig wertvolles Detailwissen zum Gelingen von Renaturierungsprojekten beisteuern. Mehr dazu: Renaturierungen planen, umsetzen und kontrollieren und Kooperation und Partizipation für erfolgreiche Renaturierungen
Der Maßnahmenträger einer Renaturierung ist sozusagen zuständig für den "Rohbau", die lokalen Fachkundigen für Fische für den "Innenausbau", die generelle Zielrichtung diktiert der Fisch als "Bauherr" (Herrigel 2017):
Welche Strukturen sollen geschaffen werden, um den Fischen als Laichplätze, Kinderstuben, Aufenthaltsorte und Verstecke zu dienen?
Welche Strukturen sind als Lebensraum für Fischnährtiere (z. B. Insektenlarven) notwendig?
Welche Fischarten bevorzugen welche Strömungs- und Tiefenverhältnisse?
Wichtig ist ein konstruktiver Wissensaustausch zwischen Planung und Praxis, um sich über die Ziele von Renaturierungsprojekten abzustimmen. Denn es geht bei Renaturierungen nicht um eine Bestandsmaximierung angelsportlich interessanter Arten, sondern um die Entwicklung naturnaher Fischlebensgemeinschaften.
Die meisten Angel- und Angelsportvereine haben nicht nur den kapitalen Fang im Blick sondern möchten natürliche Gewässer genießen, mit allem was dazu gehört. Ehren- oder hauptamtlich hegen und pflegen sie Gewässer, tragen zur Herstellung eines guten ökologischen Zustandes bei und schützen so Fischpopulationen und deren Lebensräume. Angel- und Fischereivereine leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (Görner et al. 2016).
Ein Beispiel für eine intensive Beteiligung von Vereinen an Durchgängigkeitsmaßnahmen findet sich an den Wasserkraftwerken am Inn. Mehr dazu: Inn: Mit gemeinsamen Zielen renaturieren
Angelvereine renaturieren selbst
Fischerei- und Angelvereine führen auch eigene Renaturierungen durch. Dazu gehören z. B.:
Anlegen und Bepflanzen von Kleingewässern und Flachufern,
Viele Angelvereine legen in ihren Gewässern Kleinbiotope für bedrohte Kleinfische oder Amphibien an. Sie werten sie durch das Anlegen von aquatischer Randvegetation oder schwimmenden Pflanzeninseln auf . In Teilen ihrer Gewässer richten sie Schongebiete für den Vogelschutz ein. An vielen Gewässern werden auch Brutkästen für Vögel und Fledermäuse von Angelvereinen unterhalten. Mehr dazu: Integrierte Planung und konsequentes Einbinden der Öffentlichkeit an der Ruhr
Angelvereine pflegen und kontrollieren Gewässer
Die Angelfischerei übernimmt an Gewässern eine Überwachungsfunktion und meldet den Behörden Gewässerverunreinigungen, Fischsterben oder sonstige Auffälligkeiten. Gleichzeitig führen Angelvereine regelmäßig Pflege- und Unterhaltungsmaßnahmen durch. Ein Beispiel für solch ein Engagement ist der Zusammenschluss von Pachtenden und Fischenden an der Ahr zur Arbeitsgemeinschaft Ahr ARGE-Ahr e.V. Viele Mitglieder von Angel- und Fischereivereinen sind zudem bereit, an der Umsetzung von Renaturierungsprojekten tatkräftig mitzuwirken und die Wirkungen der Maßnahmen regelmäßig und langfristig zu beobachten. Mehr dazu: Fischerei an der Ahr engagiert sich für Schutz von Flora und Fauna
Angelvereine leisten Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung
Angelvereine sind oft lokal gut vernetzt, tragen die Idee einer nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung bei zahlreichen Gelegenheiten in die Öffentlichkeit und werben für den Gewässer- und Artenschutz. Zudem leisten sie wertvolle Jugend- und Umweltbildungsarbeit. Sie können wesentlich dazu beitragen, dass Renaturierungsprojekte von der Bevölkerung akzeptiert und unterstützt werden.
Beispiele für Umweltbildungsprojekte an Fließgewässern:
Flusslandschaft des Jahres des Deutschen Angelfischerverbandes e.V. (DAFV) und der NaturFreunde Deutschlands e.V. (NFD)
Renaturierung aus der Fischperspektive
Die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Fischarten formen das Gesamtbild ihrer Ansprüche an den Lebensraum. Verändert der Mensch die Gewässer, verschlechtern sich meist die Lebensbedingungen der Fische. Im schlimmsten Fall führt das zum Zusammenbruch gesamter Fischpopulationen. Die Lebensräume für Fische sind in vielen Flüssen und Bächen durch stoffliche Belastungen, Querbauwerke, Begradigungen und Gewässerausbau in der Vergangenheit stark beeinträchtigt worden. Während die Wasserqualität oftmals verbessert werden konnte, stellen strukturelle Defizite noch immer ein großes Problem dar. Renaturierungsmaßnahmen können helfen, Gewässerstrukturen zu entwickeln, die den Lebensraumansprüchen heimischer Fischarten entsprechen. Zu den zentralen Maßnahmen zählen:
Herstellung der lateralen und linearen Durchgängigkeit,
Schutzmaßnahmen an Wasserkraftstandorten,
Rückhaltung von Feinsedimenten, und
strukturelle Aufwertung der Lebensräume durch Renaturierungen.
Durchgängigkeit und Fischschutz verbessern
Fischarten wie die Äsche oder Bachforelle wandern im Laufe ihres Lebens innerhalb von Bächen und Flüssen auf- und abwärts. Andere Arten wie Meerforelle und Lachs legen im Zuge ihrer Wanderungen oft viele hundert Kilometer aus dem Meer bis zu ihren Laichplätzen in Bächen und Flüssen zurück. Sie sind deshalb auf die Gewässerdurchgängigkeit angewiesen. Gestört wird sie hauptsächlich durch Querbauwerke, aber auch durch lange Verrohrungen unter Verkehrswegen oder bebautem Gebiet. Die Fähigkeit, solche Hindernisse zu überwinden, ist je nach Fischart unterschiedlich. Vor allem der kumulative Effekt mehrerer Wanderungshindernisse in einem Gewässer kann zur Ausdünnung von Fischpopulationen führen.
Wanderungshindernisse wie Querbauwerke sollten – wenn möglich – komplett entfernt werden oder so umgestaltet werden, dass Fische sie in beide Richtungen überwinden können. Dadurch können sich auch Strömungs- und Substratverhältnisse wieder zum natürlichen Zustand hin entwickeln (Mehr dazu: Ahr: Barrierefreiheit und Lebensraum für Fische schaffen). Bei Querbauwerken, die nicht entfernt werden können, helfen Maßnahmen wie Fischtreppen oder Umgehungsgerinne die Durchgängigkeit zu verbessern (Mehr dazu: Vernetzung von Habitaten als Renaturierungsstrategie am Inn).
Beispiele für zielführende Maßnahmen:
Wanderhindernisse entfernen bzw. umgestalten,
Aufstiegs- und Abstiegsmöglichkeiten herstellen und
Lebensräume vernetzen.
"Fischwohnungen" einrichten
Fische und Fischnährtiere in den unterschiedlichen Fischregionen entlang eines Fließgewässers sind an die jeweilige Strukturvielfalt (z. B. Tiefenrinnen, Flachwasserbereiche, Uferabbrüche), Strömungsdiversität (z. B. langsam, schnell, stürzend) und Substratzusammensetzung (z. B. Steine, Kies, Sand) angepasst und darauf angewiesen. Durch technischen Gewässerausbau verlieren vor allem anspruchsvolle Fischarten ihren Lebensraum. Renaturierungsprojekte haben deshalb vor allem das Ziel, Strukturvielfalt im Fließgewässer herzustellen.
Für Kieslaicher (z. B. Bachforelle, Lachs) eignet sich beispielsweise das Einbringen von gewässertypischem Kies. Zudem sollte der Ablagerung von Feinsedimenten (Kolmation) in der Gewässersohle entgegengewirkt werden, denn nicht nur die Fischeier werden in die Hohlräume des Kiesbetts abgelegt, sondern auch die geschlüpften, noch schwimmunfähigen Fischlarven halten sich in der ersten Zeit dort auf und sind auf eine gute Versorgung mit Frischwasser und Sauerstoff angewiesen.
Um Kolmation zu vermeiden sollte der Eintrag von Feinsedimenten in die Gewässer vermieden werden und Materialverschiebungen im Gewässer durch dynamische Prozesse ermöglicht und zugelassen werden, z. B. im Rahmen von Hochwasserereignissen. Mehr dazu: Kleinräumige Aufwertungen für Kieslaicher der Wümme
Habitate für Jungfische müssen für die aus dem Kiesbett kommende, immer noch kaum navigationsfähige Fischbrut mittels Drift erreichbar sein. Hierfür kommen Uferstrukturierungen im Fluss selbst, aber auch die Verbindung zu Flachbereichen in angebundenen Nebenstrukturen (Altgewässer) in Frage, die eine Vielzahl an Verstecken und Unterständen aufweisen.
In Hinblick auf die Erhöhung der Fischdichte sollten Renaturierungen grundsätzlich darauf abzielen, möglichst viele geschützte Unterstände sowie strömungsruhige Tiefwasserbereiche (Kolke) zu schaffen. Sichere Unterstände finden sich vor allem im Gewirr von Wurzeln oder Totholz an unterspülten Steilufern (Herrigel 2017).
Beispiele für zielführende Maßnahmen:
Gewässern Raum für eigendynamische Entwicklung geben,
Strömungsberuhigte Altgewässer (z. B. Altarme) wieder anbinden, und
Strömung durch Elemente wie Störsteine, Buhnen oder Totholz diversifizieren.
Fischeinstände bei Hoch- und Niedrigwasser bieten
Naturnahe Auengewässer bieten Rückzugsmöglichkeit bei Hoch- und Niedrigwasser, Unterstand für Jungfische, Ruhezonen, Laich- und Nahrungshabitate sowie die Möglichkeit ungestört zu überwintern. Ist die Vernetzung zwischen Fluss und Aue durch Ausbaumaßnahmen (z. B. Uferverbau), unnatürliche Gewässereintiefung oder Hochwasserschutzanlagen (z. B. Deiche) unterbunden, sind diese Funktionen für die Fischfauna nicht mehr vorhanden (LAWA 2008).
Renaturierungsmaßnahmen sollten darauf abzielen, den Fischen bei allen Pegelständen des Fließgewässers geeignete Aufenthaltsorte zu bieten. Für die Entwicklung von Hochwassereinständen im Hauptfluss sind meist Rinnen, Kolke oder strukturreiche Bereiche in Innenkurven wichtig. Die größere Bedeutung kommt aber Nebengewässern und Altgewässern zu. Mehr dazu: Wiederherstellung von Altwasser und Renaturierung von Auen am Inn
Beispiele für zielführende Maßnahmen:
Fließgewässer und Aue verzahnen (z. B. durch Uferabflachung, Anbindung von Altgewässern),
massiven Verbau entfernen bzw. durch ingenieurbiologische Materialien ersetzen (z. B. Holz), und
Bildung von Kolken und Tiefenrinnen durch Strömungslenker initiieren (z. B. durch Totholz, Störsteine).
Ufergehölze und Totholz als Kernelemente etablieren
In völlig unbeschatteten Fließgewässern kann im Sommer die Wassertemperatur stark ansteigen. Das stresst Fische. Durch einen naturnahen Gehölzsaum und seinen Schattenwurf steigt die Wassertemperatur im Sommer weniger stark an und die Temperaturschwankungen sind geringer. Das kommt insbesondere anspruchsvolleren Fischarten zugute, die auf kühles Wasser angewiesen sind. Zudem wird der Eintrag von Feinsedimenten vermindert und einer Kolmation der Gewässersohle entgegengewirkt. Ufergehölze schaffen außerdem Fischunterstände und bieten so Schutz vor Fressfeinden. Zusätzlich bilden sie die Nahrungsgrundlage (z. B. Falllaub) und schaffen Lebensraum (z. B. Totholz) für eine Vielzahl an Fischnährtieren. Daher gelten Totholzansammlungen als die "Schatzkammern des Gewässers" (Herrigel 2017). Mehr dazu: Gehölzmanagement im Gewässerrandstreifen der Wern bei Zeuzleben
LAWA – Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (2017): Bewertung der Durchgängigkeit von Fließgewässern für Sedimenten – Anwenderhandbuch Sedimente. Unveröffentlicht
Links Fische
Lokale Fischexpertise für Gewässerentwicklung einbinden
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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