Naturnahe Gewässerunterhaltung als Renaturierungsmaßnahme
Wenn große und teure Umbaumaßnahmen nicht in Frage kommen, kann eine naturnahe Gewässerunterhaltung helfen, Gewässer schonend und kostengünstig zu entwickeln. Die dabei genutzte eigendynamische Kraft des fließenden Wassers schafft gewässertypische Strukturen. Flächendeckend eingesetzt kann die naturnahe Gewässerunterhaltung wesentlich zur Verbesserung der Fließgewässer in Deutschland beitragen.
Ziel der Gewässerunterhaltung ist es, den ordnungsgemäßen Wasserabfluss und den Erhalt der Ufer zu gewährleisten, gewässerbezogene Nutzungen zu ermöglichen (z. B. Schifffahrt) sowie die ökologische Funktionsfähigkeit des Gewässers zu erhalten und zu fördern (§ 39 Abs. 1 Satz 2 WHG). Unterhaltungspflichtig sind die Eigentümer eines Fließgewässers (§ 40 WHG) z. B. öffentlich-rechtliche Körperschaften (Bund, Land, Kreise, Städte, Gemeinden) oder Wasser- und Bodenverbände. Die Verantwortlichkeit für die Gewässerunterhaltung ist in den Wassergesetzen der Bundesländer geregelt. Dabei wird entsprechend den Bedürfnissen der Gewässerunterhaltung und des Hochwasserschutzes zwischen Gewässern I. und II. Ordnung, in einigen Bundesländern auch III. Ordnung unterschieden. Mehr dazu: Wasserhaushaltsgesetz (WHG) verpflichtet zur nachhaltigen Gewässerentwicklung
Die Gewässerunterhaltung betrifft die Gewässersohle, das Ufer und das Gewässerumfeld. Konkrete Maßnahmen werden in Unterhaltungsplänen beschrieben und zwischen den Unterhaltungspflichtigen, den Anliegern und Flächennutzern sowie den Unteren Landschafts- und Wasserbehörden abgestimmt (UBA 2009). Gewässerschauen tragen dazu bei, den Erfolg der Unterhaltung zu bewerten und die Maßnahmen anzupassen (LAWA 2017).
Naturnahe Gewässerunterhaltung
In der Vergangenheit war es das oberste Ziel der Gewässerpflege, den ausgebauten Zustand aufrecht zu erhalten. Im Laufe der Jahre rückten auch ökologische Gesichtspunkte immer mehr in den Vordergrund. Es gilt, beide Punkte in Einklang zu bringen.
Eine naturnahe Gewässerentwicklung durch eine angepasste Unterhaltung kann eine kostengünstige und effektive Alternative zu baulichen Renaturierungsmaßnahmen sein. Oftmals ist eine Kombination von baulichen Maßnahmen und naturnaher Unterhaltung sinnvoll (DWA 2015); bzw. eine naturnahe Gewässerunterhaltung ist erst im Zusammenspiel mit einer Umbaumaßnahme möglich, beispielsweise mit einer Aufweitung des Gewässerbettes, mit Uferabflachungen oder mit der Schaffung einer tiefer gelegenen Aue (UBA 2009). Mehr dazu: Renaturierung erfordert angepasste Gewässerunterhaltung an der Murg
Noch Unterhaltung oder schon Umbau? – ein wichtiger Unterschied
Ein Vorteil der ökologischen Gewässerentwicklung per veränderter Unterhaltung ist, dass die Gewässerunterhaltung unbürokratisch ohne weitere Verfahren angepasst werden kann. Wird jedoch die Grenze zum Gewässerum- oder ausbau überschritten, ist nach § 31 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) die Durchführung eines Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahrens erforderlich (Patt 2016). Mehr dazu: Planungsverfahren für Renaturierung festlegen
Der Gewässerum- oder ausbau umfasst nach § 67 WHG (Wasserhaushaltsgesetz) die Herstellung, die Beseitigung und die wesentliche Umgestaltung eines Gewässers oder seiner Ufer (DWA 2017a). Eine wesentliche Umgestaltung bedeutet eine Veränderung des Gewässerprofils, die sich merklich auf Wasserhaushalt (Wasserstand, Wasserabfluss, Fließgeschwindigkeit etc.), Schifffahrt und Fischerei auswirkt oder in Grundrechte Dritter eingreift (z. B. Personen mit Flächeneigentum).
Die Abgrenzung zwischen Gewässerumbau und –unterhaltung ist oftmals nicht eindeutig und bedarf einer Einzelfallentscheidung (Patt 2016). Die Kernfrage, inwiefern sich eine Maßnahme abflussverändernd auswirkt, muss vom Unterhaltungspflichtigen abgeschätzt oder ggf. hydraulisch berechnet werden.
Das Einbringen von Totholz in ein Gewässer verdeutlicht die Schwierigkeit der Abgrenzung. Es wird als eine sinnvolle Maßnahme der Gewässerunterhaltung betrachtet, da es eine bedeutende Rolle für Struktur, Hydrologie sowie Fauna und Flora des Gewässers und der Ufer spielt. Allerdings kann durch das Einbringen von Totholz eine abweichende Mäandrierung des Gewässers eintreten, die als wesentliche Umgestaltung und somit als Gewässerum- oder -ausbau ausgelegt werden kann (Patt 2016).
Eigendynamische Entwicklung – den Bach Bach sein lassen
Ein aufwendiger Gewässerumbau ist oftmals gar nicht notwendig. Wenn die Kraft des fließenden Wassers richtig genutzt wird, können sich Bäche und Flüsse auch ohne bauliche Maßnahmen eigendynamisch entwickeln (UBA 2009). Das Unterlassen oder Modifizieren derjenigen Unterhaltungsarbeiten, die die Gewässerentwicklung verhindert haben (z. B. regelmäßige Mahd der Böschungen, Entfernen von Totholz, Verhindern von Uferabbrüchen, Erneuern von Ufersicherungen) führt in der Regel zu einem Wiedereinsetzen der eigendynamischen Entwicklung (DWA 2010). Das Zulassen natürlicher, eigendynamischer Prozesse dauert zwar länger als aktive Gewässerumbaumaßnahmen, ist aber kostengünstig und oftmals großräumig anwendbar (Groll 2017).
Entscheidend ist, ob das Gewässer über eine ausreichende Eigendynamik, insbesondere Abfluss- und Morphodynamik, verfügt, um sich aus eigener Kraft zu entwickeln. Je nach Gewässerentwicklungsfähigkeit kann die eigendynamische Entwicklung durch entsprechende Initialmaßnahmen ausgelöst und gefördert werden, wie z. B.:
Hochwasser bewirken häufig umfangreiche morphologische Veränderungen in Gewässer und Aue. Die enormen, schnell fließenden Wassermassen verursachen Umlagerungen in der Sohle, verlagern die Ufer der Gewässer, versetzen Sand- und Kiesbänke und schaffen neue Flutrinnen. Diese Auswirkungen entsprechen im Ergebnis häufig genau den Maßnahmen, die bei einer Renaturierung mit hohem Aufwand realisiert werden (UBA 2009). Ausgebaute Flüsse und Bäche können oftmals allein durch die Gestaltungskraft des Hochwassers restrukturiert werden.
Hochwasser zur Renaturierung zu nutzen ist besonders effizient, denn die Kosten sind gering und die Strukturentwicklung gewässertypisch. Das teure "Reparieren" des technischen Ausbauzustands nach einem Hochwasser entfällt (LAWA 2017). Die quasi im Zeitraffer entstandenen naturnahen Strukturen durch Hochwasser stellen den Kommunen somit kostenlos Renaturierungsmaßnahmen bereit. Anstatt Hochwasserschäden zu beseitigen und den ursprünglichen Ausbauzustand des Gewässers wiederherzustellen, sollte geprüft werden, ob die entstandenen naturnahen Strukturen erhalten werden können (LAWA 2017).
Eigendynamik erfordert Entwicklungsraum
Das Zulassen einer eigendynamischen Entwicklung des Gewässers kann zu erheblichen Verlagerungen des Gewässerbettes führen. Deshalb ist sie nur dort möglich, wo ausreichend Flächen als Entwicklungsraum zur Verfügung stehen. Die hydraulische Wirkung sollte soweit wie möglich vor der Umsetzung abgeschätzt werden. Zudem können dem Gewässer Grenzen für die Entwicklung gesetzt werden, beispielsweise durch Gehölze als "schlafender Uferverbau", die erst Wirkung zeigen und somit "geweckt" werden, falls sich das Gewässer bis zu diesem Ort verlagert. Dadurch können angrenzende Nutzungen geschützt werden. Generell gilt es, die Intensität von Unterhaltungsmaßnahmen vorsichtig zurückzunehmen und dadurch die negativen Auswirkungen auf den Naturhaushalt, den Verlust von Lebensraumstrukturen, die Verdrängung von Tieren und Pflanzen sowie die Nährstofffreisetzung so gering wie möglich zu halten (DWA 2015).
Naturnahe Gewässerpflege "im Profil"
Ist keinerlei Entwicklungsraum vorhanden (z. B. in Städten oder intensiv genutzten Landschaften), bietet sich die Möglichkeit, das Gewässer aufzuwerten, ganz ohne dass sich das bestehende Profil verändert. Die Maßnahmen konzentrieren sich dabei insbesondere auf die Gewässerböschungen und die Gewässersohle. Die Grundidee dieser sogenannten Renaturierung "im Gewässerprofil" ist es, Fließgewässer durch einfache und kostengünstige Maßnahmen und ohne Gewässerumbau im Rahmen der Gewässerunterhaltung ökologisch aufzuwerten (Tent 2014). Durch solche Maßnahmen lassen sich sogenannte ökologische Trittsteine auch in Bereichen entwickeln, in denen eine naturnahe Gewässerumgestaltung nicht möglich ist (z. B. Städte, Strecken parallel zu Straßen und Bahnlinien).
Geeignete Maßnahmen bzw. Unterhaltungsverfahren können sein:
Unterhaltungsmaßnahmen außerhalb der Schonzeiten der im und am Gewässer lebenden Tiere durchführen,
Habitatschonende Stromrinnenmahd, bei der lediglich eine Krautungsschneise im Stromstrich gemäht wird,
Entwicklung von standorttypischen Wasserpflanzen zulassen,
Beschattung durch Hochstaudenfluren auf Böschungs- und Ufersäumen fördern,
Beschattung und Ufersicherung durch Gehölzentwicklung fördern,
Gewässerrandstreifen zur Verringerung des Sediment-/Nährstoffeintrags etablieren,
Totholz im Profil belassen, Entnahme nur in begründeten Fällen,
Totholz zur Strömungslenkung und Strukturverbesserung nutzen, an geeigneten Stellen einbauen und befestigen,
Feinsedimenteintrag/-transport über den Bau von Sandfängen reduzieren,
Standorttypisches Substrat (z. B. Kies) zur Verbesserung der Sohlstruktur einbauen,
Unnatürliche Tiefenerosion durch Einbau von Sohlschwellen verhindern,
Naturferne Sohl- und Uferbefestigungen entfernen,
Ufer durch ingenieurbiologische Bauweisen sichern, wenn es hydraulisch erforderlich ist,
Nutzung im direkten Gewässerumfeld extensivieren.
Totholz als Lebensraumfaktor – alles andere als tot
Totholz im und am Gewässer ist ein wichtiger Faktor für ökologisch intakte Fließgewässer und trägt zur Strukturvielfalt bei. Elemente wie Sturzbäume oder Totholzverklausungen stabilisieren die Sohle, ohne die Durchgängigkeit zu beeinträchtigen. Gleichzeitig können sie eigendynamische Entwicklungsprozesse auslösen (TLUG 2011). Insbesondere in Fließgewässertypen mit einer von Natur aus relativ geringen Strukturvielfalt (z. B. Sandbäche) stellt Totholz ein wichtiges, strukturgebendes Element dar: Strömungsverhältnisse werden durch Totholzansammlungen kleinräumig verändert und führen so zu vielfältigen strukturellen Elementen (z. B. Substratvielfalt, Tiefenrinnen, Flachwasserbereiche). Darüber hinaus bietet Totholz z. B. Fischen, Insekten und Würmern Lebensraum, Versteck und Nahrungsgrundlage.
Neben dem Belassen von Totholz im Gewässer und der Entwicklung von natürlichen Totholzquellen (Ufergehölze) bietet sich insbesondere in stark veränderten Gewässerabschnitten das gezielte Einbringen von Totholz an. Dadurch lassen sich strukturelle Defizite schonend und ohne umfangreiche Baumaßnahmen beheben, u. a. ein begradigter und verkürzter Verlauf, fehlende Breitenvarianz, Eintiefung und Sohlenerosion sowie fehlende Sohlstrukturen.
Das Belassen und Einbringen von Totholz kann sowohl mit als auch ohne Flächenverfügbarkeit umgesetzt werden. Vor solchen Maßnahmen ist jedoch zu klären, ob mögliche hydraulische Veränderungen durch das Totholz nicht zu Beeinträchtigungen der umliegenden Flächen führen können. Totholz darf zudem keine unzulässige Beeinträchtigung des lokalen Abflussvermögens verursachen. Hierfür ist es erforderlich, die Folgen für Strömung, Sedimente und Gewässerstruktur zu beurteilen. Falls unterhalb eines Totholzabschnittes schutzwürdige Bauwerke (z. B. Brücken) liegen, ist das Totholz gegen Verdriftung zu sichern.
Gewässerrandstreifen – wo sich Wasser- und Landwirtschaft treffen
Gewässerrandstreifen umfassen das Ufer sowie das angrenzende Gewässerumfeld. Sie dienen dem Erhalt, Schutz und der Verbesserung des Gewässers, z. B. vor Stoffeinträgen aus landwirtschaftlich genutzten Flächen. Innerhalb des gesamten Gewässerrandstreifens dürfen keine nicht standortgerechten Bäume oder Sträucher angepflanzt oder standortgerechte Pflanzen entfernt werden (mit der Ausnahme einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft oder Gehölzpflege im Rahmen der Gewässerunterhaltung). Zudem ist der Einsatz und die Lagerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln im Abstand von fünf Metern zu Gewässern verboten (DWA 2012).
Ist der Randstreifen eines Gewässers entsprechend breit, kann die Gewässerunterhaltung deutlich reduziert bzw. vollständig eingestellt werden. Gewässerrandstreifen können so zur Ausbildung von naturnahen und ökologisch funktionsfähigen Gewässern beitragen. Besonders an kleineren Bächen, an denen bereits eine naturnahe Entwicklung eingesetzt hat, genügt oftmals die Sicherung ausreichend breiter Randstreifen, um den ökologischen Anforderungen zu genügen (WBW & LUBW 2015).
Ingenieurbiologische Maßnahmen – mit Hilfe der Natur bauen
Sind innerhalb des Profils nur geringfügige Veränderungen möglich, können massive Sohl- und Ufersicherungen (z. B. Betonplatten) durch ingenieurbiologische Bauweisen ersetzt werden. Durch den Einsatz natürlicher und pflanzlicher Baustoffe, wie z. B. Steckhölzer, Weidenspreitlagen, Flechtbuhnen und Faschinenbündel kann z. B. der Lebensraum und die Nahrungsgrundlage für Fische und deren Nährtiere (z. B. Insektenlarven) aufgewertet werden (Patt et al. 2011 und Zeh 2010). Mehr dazu: Fließgewässerökologische Umgestaltung des Schierenbaches
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
Umweltbundesamt
Kontakt
Wörlitzer Platz 1 06844 Dessau-RoßlauBitte richten Sie Ihre Anfragen ausschließlich über das Kontaktformular "UBA fragen" an uns.Derzeit besteht leider keine telefonische Erreichbarkeit.Bei der Beantwortung von Anfragen kann es zu Verzögerungen kommen. Wir bitten um Verständnis.