Der Strategische Ansatz (SAICM): Online-Workshop am 16. Mai 2022

Die Beitragenden zum Stakeholder Workshop: Dr. Jutta Emig, Dr. Christine Füll, Dr. Silke Bollmohr, Prof. Dr. Andrea Rother, Dr. Minu Hemmati und Dr. Hans-Christian Stolzenberg.zum Vergrößern anklicken
Die Beitragenden zum Stakeholder Workshop

Dr. Jutta Emig, Dr. Christine Füll, Dr. Silke Bollmohr, Prof. Dr. Andrea Rother, Dr. Minu Hemmati und Dr. Hans-Christian Stolzenberg.

Quelle: Maro Luisa Schulte / adelphi / zoom

Im Rahmen der Serie von Workshops zum Austausch der SAICM Akteur*innen in Deutschland untereinander sowie mit Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und Umweltbundesamt (UBA) trafen sich am 16. Mai 2022 40 Vertreter:innen von Regierung, Industrie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei einem Online-Workshop zum Thema „Hochgefährliche Pestizide“.

Inhaltsverzeichnis

Am 16. Mai 2022 trafen sich 40 Vertreter:innen von Regierung, Industrie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei einem Online-Workshop zum Thema „Hochgefährliche Pestizide“ (Highly Hazaroud Pesticides, HHPs).

Das Thema Hochgefährliche ⁠Pestizide⁠ wird unter SAICM seit 2019 als „emerging policy issue“ behandelt. Bereits im Jahr 2015 begrüßte die Internationale Chemikalienmanagementkonferenz (ICCM4) die Strategien von FAO, WHO und UNEP und rief zu konzertierten Handlungen bzgl. HHPs auf sowie zur verstärkten internationalen Zusammenarbeit. Auf der Resolution basierend erarbeiteten die drei Organisationen einen Vorschlag für einen Aktionsplan zu HHPs, der auf der 5. ICCM im zweiten Halbjahr 2023 in Bonn vorgestellt werden soll. Es wird erwartet, dass dort durch Resolutionen oder Empfehlungen auch die Weichen für den weiteren Umgang mit HHPs gestellt werden.

 

Auf dem Weg zur ICCM5

Dr. Jutta Emig, Leiterin des Referats C II 3 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), informierte die Teilnehmenden über den Strategischen Ansatz zum Internationalen Chemikalienmanagement (SAICM) und den intersessionalen Prozess (IP).

Durch die Corona-Pandemie hat sich die ICCM5 voraussichtlich auf September 2023 verschoben und der sog. „intersessional Process“ (IP) entsprechend verlängert. Um inhaltliche Fortschritte zu machen und das Momentum aufrecht zu halten, wurden zum Ende des Jahres 2020 vier virtuelle Arbeitsgruppen zu den Themen „Targets, indicators and milestones“, „Governance and mechanisms to support implementation“, „Issues of concern“, „Financial considerations“ ins Leben gerufen. Da verschiedene ⁠Stakeholder⁠ aus unterschiedlichen Gründen nicht an allen Treffen dieser Arbeitsgruppen teilnehmen konnten, ist die Aufgabe nun, die Ergebnisse der Arbeitsgruppen mit allen Stakeholdern bei einem physischen Treffen zu besprechen und zu diskutieren, inwieweit diese in den Prozess integriert werden können. Ein besonderer Fokus wird dabei auf ehrgeizigen Zielen und Oberzielen liegen, die alle Sektoren einbeziehen und gleichzeitig von politischen Entscheidungsträger:innen und der Öffentlichkeit verstanden werden. Dies soll dabei helfen, das Thema Chemikalien- und Abfallmanagement international und national prominenter auf die politische Agenda zu setzen und dringend benötigte Ressourcen zu mobilisieren.

Nachdem David Morin aus Kanada seine Funktion als Ko-Vorsitzender niedergelegt hat, übernimmt Kay Williams aus dem Vereinigten Königreich und führt den IP gemeinsam mit Judith Torres aus Uruguay weiter. Beim vierten und vorerst letzten Treffen des IP (IP4), vom 29. August bis 02. September 2022 in Bukarest, Rumänien, sollen die bestehenden und neuen Vorschläge für Empfehlungen an die ICCM5, in ein umfassendes Dokument integriert werden. Das IP4 wird in Regionaltreffen vorbereitet, auf denen auch das sog. „Comparison document“ vorgestellt wird, dass die bestehende „Overarching Policy Strategy“ den Ergebnissen von IP1-3 und der  OEWG, sowie den Ergebnissen der virtuellen Arbeitsgruppen gegenüberstellt.

Hinweise auf Neuigkeiten und Hintergrundinformationen

Auf der Umweltversammlung der Vereinten Nationen UNEA-5.2 wurden zwei chemikalienrelevante Dokumente verabschiedet:

Hintergrundinformationen:

Dr. Christine Füll aus der Abteilung für Pflanzenproduktion und Pflanzenschutz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen erklärte die grundlegenden Eigenschaften der HHPs und gab einen Überblick über die Tätigkeiten der FAO in diesem Themenbereich.

HHPs sind im Verhaltenskodex zum Pestizidmanagement der FAO und der Weltgesundheitsorganisation (⁠WHO⁠) als jene ⁠Pestizide⁠ definiert, die anerkanntermaßen besonders hohe akute oder chronische Gefahren für Umwelt und Gesundheit darstellen […] oder unter den Anwendungsbedingungen in einem Land, schwere oder irreversible Schäden für Gesundheit oder Umwelt verursachen. FAO und WHO schlagen 8 Kriterien vor, von denen das zu beurteilende Pestizid mindestens eins erfüllen muss, um als hochgefährlich zu gelten. Während die Überprüfung der ersten sieben Kriterien anhand der darin genannten Listungen erfolgen kann, ist das achte Kriterium1 abhängig von den tatsächlichen Umständen einzelner Länder. Wird z.B. aufgrund fehlender Ressourcen oder fehlenden Wissens keine Schutzkleidung getragen oder werden die Pestizide nicht in bestimmungsgemäßer Menge angewendet, steigen Risiken für die berufliche und öffentliche Gesundheit, aber auch für die Umwelt. Dies wirkt sich negativ auf die Transformation hin zu einem neuen Agrar-Lebensmittelsystem und die Implementierung der Nachhaltigkeitsziele aus.

Die FAO unterstützt in einem ganzheitlichen Ansatz vor allem Länder des Globalen Südens, wo HHPs häufig verwendet werden bzw. durch die vorherrschenden Anwendungsbedingungen vor Ort zu HHP im Sinne des achten Kriteriums werden können. Sie unterstützt dabei, ein Bewusstsein für die Gefahren durch HHPs zu schaffen, regionale und nationale Strategien zu HHPs zu entwickeln, Kapazitäten in den Bereichen Risikobewertung und Registrierung zu schaffen sowie Alternativen zu HHPs aufzuzeigen. Sie fördert zudem sowohl den integrierten Pflanzenschutz als auch die Agrarökologie durch sog. Farmer Field Schools. Weitere technische Unterstützung wird die FAO im Rahmen des ganzheitlichen Ansatzes durch Kapazitätsbildung, Optimierung von Technologien und Guter Praxis, Minimierung der Risiken durch HHPs und durch die Respektierung nationaler Prozesse und der Souveränität der Länder leisten.

Dr. Silke Bollmohr von der Nichtregierungsorganisation (NGO) EcoTrac Consulting klärte über die Gefahren durch die Nutzung von HHPs auf. Da es seitens der FAO, u.a. wegen der Unklarheiten hinsichtlich des achten Kriteriums, bislang keine Liste zur Einteilung von HHPs gibt, hat das Pestizid-Aktionsnetzwerk PAN International, eine eigene Liste hochgefährlicher Pestizide erstellt. Diese Liste bezieht neben den ersten sieben Kriterien der FAO und WHO, die lokalen Anwendungsbedingungen sowie weitere Toxizitäts- und Umweltkriterien mit ein. Verschiedene Studien zeigen, dass in vielen Ländern des Globalen Südens gem. der PAN-Liste ein signifikanter Teil der registrierten Pestizide als HHPs gewertet werden. Der Anteil steigt sogar noch, wenn man diejenigen Pestizide betrachtet, die tatsächlich von den (Klein-)Bäuer:innen angewendet werden (in Kenia z.B. bis auf 67% der angewandten Pestizide). Rückstände diverser HHPs finden sich u.a. auf den behandelten Nahrungsmitteln. Fester Bestandteil des Risikomanagements von Pestiziden und Voraussetzung für deren Zulassung sind u.a. Schutzkleidung und Gewässerrandflächen, die in den Ländern des Globalen Südens aber häufig nicht eingehalten werden können. Gründe hierfür sind u.a., dass Gefährlichkeit und Risiken der Pestizide nicht bekannt sind, was zu zahlreichen Vergiftungen in diesen Ländern führt. Um diese zu vermeiden, zeigt die Hierarchie der Maßnahmen, dass die Eliminierung und Substitution der HHPs z.B. durch integrierten Pflanzenschutz, agrarökologische Methoden und/oder Biolandbau um ein Vielfaches effizienter und effektiver sind als z.B. persönliche Schutzkleidung. Daher sollten vorbeugende Maßnahmen den physikalischen und biologischen/biotechnischen Maßnahmen vorgezogen werden und chemische Maßnahmen (darunter auch Biopestizide) erst verwendet werden, wenn diese nicht mehr greifen.

Prof. Dr. Hanna-Andrea Rother von der Abteilung Umwelt und Gesundheit der School of Public Health and Family Medicine der Universität Kapstadt (UCT), stellte unter SAICM laufende Aktivitäten und Strategien zu HHPs vor. HHPs werden unter SAICM als sog. Emerging Policy Issue (EPI) angesehen und in einer sog. Community of Practice (CoP) behandelt. Drei wesentliche Ziele werden dabei verfolgt: Diskussionen und multisektorales Engagement zu fördern, um Schlüsselthemen im Zusammenhang mit HHPs zu identifizieren; Beispiele bester Praxis im Umgang mit HHPs auszutauschen; und zu den Beratungen im IP beizutragen. Die inzwischen 326 Mitglieder der CoP repräsentieren diverse Stakeholder und Sektoren aus unterschiedlichen Regionen und weitere Mitglieder sind jederzeit willkommen.

Eines der Produkte der CoP ist ein HHP Factsheet für SAICM Focal Points zur Unterstützung nationaler Aktivitäten. Es beinhaltet Informationen zu HHPs und gibt Empfehlungen und Vorschläge, wie alle relevanten Stakeholder involviert werden können, um künftig mehr und mehr auf HHPs zu verzichten und stattdessen auf nachhaltigere Alternativen zurückzugreifen. Dabei hebt das Factsheet die Schlüsselfunktion der SAICM Focal Points hervor, bei der Minimierung oder Vermeidung der Gesundheits- und Umweltrisiken durch HHPs mitzuwirken. Dazu gehören:

  1. Sicherstellen, dass alle Informationen zu HHPs mit allen relevanten Stakeholdern geteilt werden.
  2. Entscheidungsträger:innen über HHPs informieren, die landesweit verboten sind.
  3. Fördern nationaler Infrastruktur, wie z.B. Giftinformationszentren.
  4. Unterstützen und Fördern nationalen Engagements verschiedener Stakeholder zum Thema HHPs.
  5. Die Verbreitung der Arbeit von FAO, UNEP und WHO zu HHPs und ihre Ergebnisse.

Das Factsheet beinhaltet darüber hinaus Handlungsempfehlungen für alle relevanten Stakeholder. Es schlägt vor (s. Folie 13 der Präsentation), dass nationale Focal Points den aktiven Dialog zwischen diesen Stakeholdern fördern. Es wird im Rahmen eines Workshops vorgestellt und genau wie das Thema HHPs im Allgemeinen weiterhin in der CoP diskutiert. Die Teilnehmenden sowie alle SAICM Stakeholder sind eingeladen, sich an diesen Diskussionen zu beteiligen.

 

Diskussion in Kleingruppen

In sechs Kleingruppen diskutierten die Teilnehmenden die Frage „Wie können der SAICM-Prozess, die National Focal Points und andere ⁠Stakeholder⁠ dazu beitragen, dass die Schäden durch HHPs weltweit minimiert werden (im Sinne von SDG 12.4)?“.

Dabei wurde diskutiert, dass die produzierende Industrie bereits aktiv darin ist, Informationen zu Risiken und Anwendungsvorschriften transparent zu machen. Vor allem in den Ländern des Globalen Südens reichen diese Bemühungen jedoch nicht aus, weshalb Produzent:innen stärker in die Pflicht genommen werden sollen und die Implementierung der rechtsverbindlichen Abkommen gestärkt werden muss. Darüber hinaus bedarf es einer Verbesserung der Datenlage, u.a. zur Verbesserung der Risikobewertung. Letztere benötigt jedoch vor allem in den Ländern des Globalen Südens gestärkte Kapazitäten und Ressourcen, darunter auch qualifizierte Beschäftigte, z.B. in Behörden. Einige Teilnehmende schlugen vor, dass dieser Kapazitätsaufbau durch Regierungen, vor allem aber durch die Industrie finanziert werden sollte. Die wichtige verstärkte Förderung von (nicht-) chemischen Alternativen zu HHPs sollte gewährleisten, dass keine ihrerseits gefährlichen oder schädlichen Substitute verwendet werden (sog. regrettable solutions). Neben den in den Beiträgen bereits genannten Problemen bezüglich der Exporte von HHPs in Drittländer wurde zu Bedenken gegeben, dass die vorhandenen Alternativen teurer sein als die verwendeten HHPs. SAICM wurde von vielen Teilnehmenden als hilfreicher und wichtiger Rahmen genannt, um den Landwirtschaftssektor zu einem nachhaltigeren Vorgehen zu bewegen, da der Ansatz auf besonders umfassende Weise die sichere Anwendung zum Ziel habe.

 

Reflektionen des Nationalen SAICM Focal Point, Umweltbundesamt

Dr. Hans-Christian Stolzenberg hob vier Punkte der vorangegangenen Beiträge und Diskussionen hervor.

  1. betonte er die Bedeutung von vorhandenen Informationen zur Risikobewertung. Als Focal Point wünscht sich Dr. Stolzenberg, dass die Debatte um Transparenz, Regulierung und Informationsangebote pragmatisch und lösungsorientiert geführt wird.
  2. bietet SAICM einen Rahmen, um die unterschiedlichen Akteure und somit auch Perspektiven zusammenzubringen. Somit können Kompetenzen gebündelt werden.
  3. bietet SAICM Chancen für die Erarbeitung und Umsetzung einer gemeinsamen Strategie zur Erreichung gemeinsamer Ziele.
  4. um die Lücke zwischen den Ländern des Globalen Nordens und Südens im Umgang mit HHPs zu schließen, bedarf es eines Austauschs über Best Practice Beispiele, über Alternativen zu HHPs, eine entschlossenere Zusammenarbeit und ressortübergreifenden, lösungsorientierten Austausch. Dies kann in den CoP und über diese hinaus stattfinden.
 

Abschluss und Ausblick

Moderatorin Dr. Minu Hemmati dankte allen Beitragenden und Teilnehmenden und rief dazu auf, sich untereinander zu vernetzen und sich in den laufenden SAICM Prozess einzubringen. Die Multi-Stakeholder Plattform SAICM und der aktuell laufende Prozess zur Weiterentwicklung von SAICM (SAICM Beyond 2020), dessen Präsidentschaft Deutschland innehat, bietet zahlreiche Gelegenheiten zur Mitgestaltung. Die nächste Gelegenheit bietet sich beim o.g. IP4 in Bukarest vom 29. August bis zum 2. September.

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