Die Menschheit muss ihr Wirtschaften in Richtung Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft regelrecht transformieren, denn die derzeitige Entwicklung führt dazu, dass wir die planetaren Grenzen überschreiten und so Zukunft und Wohlergehen der Menschheit bedrohen.
Chemie ist ein Schlüssel einer nachhaltigen Transformation, aus zwei wichtigen Gründen: ihre Rolle als Verursacher von Problemen wie Umweltverschmutzung oder Gesundheitsschäden gilt es massiv und weltweit zurückzudrängen. Gleichzeitig ist Chemie unverzichtbar für menschliches Wohlergehen. Denn sie liefert vielfältige Lösungen für verschiedenste Bereiche wie Gesundheit, Ernährung, Klimaschutz, Mobilität, zum Beispiel mit Medizin und zweckmäßigen Materialien und Produkten wie manche Kunststoffe oder Elektronik. Die strategischen Ziele der notwendigen Transformation für nachhaltige Entwicklung mit und in der Chemie sind umfassend. Sie erfordern große Innovationskraft, einerseits für technische Lösungen, andererseits für Managementmaßnahmen, Zusammenwirken und politische Rahmenbedingungen.
Nachhaltigkeit in der Chemie betrifft eine Vielzahl von Aspekten und adressiert mehrere Wirkungsebenen. Das Umweltbundesamt stellt einen vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutz in das Zentrum seiner Betrachtungen und Aktivitäten. Die Probleme, Herausforderungen und Optionen sind eindeutig beschrieben (s. hier) und erfordern konzertiertes, wirkungsvolles Handeln mit nachhaltigeren Lösungsansätzen als bisher. Nachhaltigkeit adressiert den gesamten Lebenszyklus von Chemikalien, also Ausgangsmaterialien, Herstellung, Produkte und deren Anwendung bzw. Nutzung, alle Maßnahmen zu Kreislaufführung und bis hin zur Entsorgung. Sie adressiert also auch alle damit verbundenen Prozesse einschließlich u.a. Energiebedarf, Emissionen und Immissionen. Die Lösungsansätze für eine nachhaltige Transformation der Sektoren, Wertschöpfungsketten und Kreislaufsysteme müssen in einer systemischen Gesamtbetrachtung, innerhalb der planetaren Grenzen erfolgen (s. Abb. 1) und den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) dienen. Aus dem bestehenden Ungleichgewicht von Wirtschaft, Sozialem und Umwelt kann nur ein Ansatz führen, der die Prioritäten im Sinne nachhaltiger Entwicklung setzt:
Oberstes Ziel wirtschaftlichen Handelns und Bedingung für erfolgreiche Geschäftsmodelle muss sein, menschliches Wohlergehen zu ermöglichen und alle elementaren gesellschaftlichen Bedürfnisse zu erfüllen - ohne dabei der Gesellschaft oder der Umwelt zu schaden.
Die Gesellschaft wiederum kann nur innerhalb der Kapazitätsgrenzen unseres Planeten existieren und ist daher auf intakte Ökosysteme und begrenzten Ressourcenverbrauch angewiesen.
Daraus ergibt sich eine Hierarchie der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (s. Abb 2).
Nachhaltigkeit in und mit Chemie erfordert als breit angelegtes Thema vernetztes Handeln von Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie Behörden und Politik. Der zu betrachtende Querschnitt an Sektoren mit Bezug zu Chemie wiederum besteht aus der chemischen und pharmazeutischen Industrie selbst und so zentralen Branchen wie Bauwesen, Textilindustrie, Kosmetik, Landwirtschaft und Ernährung, Mobilität, Energie, Elektronik, IT usw. Das Erkennen von und der angemessene Umgang mit möglichen Zielkonflikten erfordern Systemdenken. Die Sektoren, die sich mit Chemikalien befassen, sollten dies als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung gestalten. Dabei geht es einerseits um unmittelbares Erreichen der SDG und andererseits um generelle Prinzipien, wie dass das Erreichen, bzw. Annähern, an einzelne Ziele nicht auf Kosten von Rückschritten bei anderen gehen darf.
Die Anwendung von nachhaltiger Chemie hat zum Ziel, besonders sichere und innovationsorientierte Lösungen mit möglichst ungefährlichen Chemikalien zu entwickeln. Über eine langfristige strategische Planung und Umsetzung der nachhaltigen Chemie sollen die Akteure dazu beitragen, die Ziele des - Ende September 2023 in Bonn auf der 5. Internantionalen Conference on Chemicals Management (ICCM5) - beschlossenen Global Framework on Chemicals (GFC) und seines Zielsystems voranzutreiben.
Mit Errichtung des International Sustainable Chemistry Collaborative Centre (ISC3) haben Umweltministerium und Umweltbundesamt 2017 einen neuen Schlüsselakteur auf internationaler Ebene ins Rennen um nachhaltige Lösungen mit und in der Chemie geschickt. Das ISC3 adressiert wesentliche Herausforderungen aller Sektoren, die Chemikalien und chemische Produkte konzipieren, herstellen und/oder einsetzen. Um geeignete Lösungen zu finden, vernetzt das ISC3 weltweit die fortschrittlichsten Partner und stärkt neues Systemdenken im Sinne von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Mit diesem Ansatz werden bedeutende Beiträge zur Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) möglich. Das ISC3 ist eine global agierende Institution und Multi-Stakeholder-Plattform. Es arbeitet in fünf zentralen Handlungsfeldern Collaboration, Innovation, Education, Research and Information. Das ISC3 betreibt mit Advisory Board, Scientific Board und Stakeholder-Forum zentrale Formate zur Beteiligung von Expertinnen und Experten, startete den weltweit ersten Masterstudiengang „Nachhaltige Chemie“ an der Leuphana Universität Lüneburg und etablierte seinen Globalen Start-up Service, dem sich bis Dezember 2022 über 190 Start-ups aus aller Welt angeschlossen haben.
Transformation
Die dringend benötigte Transformation im Umgang mit Chemikalien muss sektorübergreifend stattfinden und benötigt einen Handlungsrahmen. Dafür müssen die bestehenden und zukünftigen Indikatoren, Kriterien und Beschreibungen des Nexus von Nachhaltigkeit und Chemie anspruchsvoll sein und noch besser miteinander verknüpft werden. Neben den SDGs mit ihren Targets und Indikatoren, gibt es eine ganze Reihe von Initiativen und Aktivitäten, die Ziele, Strategien und Konzepte in diesem Themenfeld beschreiben:
Bereits 1996 wurden in der Vorgängerrichtlinie der Industrial Emissions Directive (IED) Kriterien für die Ermittlung der besten verfügbaren Techniken entwickelt und richteten erstmals den Fokus auf mehr Nachhaltigkeit.
Seit 1998 beschreiben zwölf Prinzipien nach Anastas und Warner eine Green Chemistry, die nicht nur für die Synthese von Chemikalien sehr wichtig sind, sondern auch das Thema einer verantwortungsvoll angewandten Chemie im Allgemeinen beschleunigt haben.
2004 spezifizierte das Umweltbundesamt zusammen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Kriterien für eine nachhaltige Chemie.
Auf internationalen Konferenzen 2007, 2011 und 2015 versammelte das Umweltbundesamt Stakeholder aus der ganzen Welt, um die nötigen Schritte zu einer nachhaltigeren Chemie zu diskutieren.
Ebenfalls 2020 hat das ISC3 in einem Stakeholder-Prozess zehn Hauptmerkmale der nachhaltigen Chemie entwickelt (s. Abb. 3), die auch das Verständnis des Umweltbundesamtes für Nachhaltigkeit und Chemie beschreiben.
Chemikalienleasing steht für ein dienstleistungsorientiertes Geschäftsmodell mit dem Ziel, Chemikalien nicht mehr mengenorientiert, sondern für eine Dienstleistung zur Verfügung zu stellen.
So orientiert sich zum Beispiel der Preis für die Dienstleistung einer Lösemittel-Entfettung an der Fläche der gereinigten Oberfläche und nicht mehr an der Menge verkauften Lösemittels. Der Hersteller der Chemikalie wird im neuen Geschäftsmodell zum Dienstleistungsunternehmen. Chemikalienleasing (Hauptartikel) ist ein Instrument, um Nachhaltige Chemie umzusetzen, da der Gewinn nicht mit der Menge verkaufter Chemikalien gesteigert wird, sondern durch deren Einsparung. Ziel ist es, damit den Chemikalieneinsatz zu minimieren, um Kosten und damit auch den Ressourcenverbrauch zu reduzieren.
Der Hersteller der Chemikalien tritt bei diesem Modell mit den Verarbeitern und Anwendern in der Wertschöpfungskette in Kontakt. Er befasst sich also mit dem weiteren Lebensweg der Chemikalien, macht das Know-how zur Anwendung seiner Chemikalie zu seinem eigenen Geschäft und übernimmt damit im Idealfall auch die Verantwortung für die Chemikaliensicherheit.
Bisher sind verschiedene Anwendungsbereiche für das Modell erprobt worden, so zum Beispiel die Metallbearbeitung (Anwendung: Reinigen/Entfetten, Beizen, Gießen, Kühlen/Schmieren), in der chemischen Synthese (Anwendung: Katalyse), in der Nahrungsmittelindustrie (Anwendung: Extraktion, Wasseraufbereitung) und bei der Bereitstellung von Hilfsstoffen (Anwendung: Kühlen von Gütern, technische Gase). Es sind jedoch noch Fragen zu klären, zum Beispiel für welche Branchen das Modell in Deutschland praktikabel ist und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren.
Aktivitäten des Umweltbundesamtes
Für die Konkretisierung einer Transformation zu nachhaltiger Entwicklung im Kontext von Chemie existieren bereits verschiedene Werkzeuge, z.B. die Bewertungsschemata der Substitution and Alternatives Assessment Toolbox der OECD (SAA-Toolbox). Auch das Umweltbundesamt unterstützt Nachhaltigkeit in und mit Chemie, u.a. mit folgenden Angeboten:
Warum haben Deutschland und das Umweltbundesamt eine besondere Verantwortung im Kontext von Nachhaltigkeit und Chemie?
Der Chemiesektor zählt zu den wichtigsten und innovativsten Branchen in Europa. Deutschland ist als führender Chemiestandort besonders gefragt, nachhaltige Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Chemikalienanwendung und Chemikalienproduktion waren, aus globaler Perspektive sind sie es eher zunehmend, wesentliche Quelle hoher Belastungen für Umwelt und menschliche Gesundheit. Wirtschaftliche Erfolge für Unternehmen in der Chemiebranche mit ihrer überdurchschnittlichen Innovationskraft sind nur dann zukunftsorientiert im Sinne nachhaltiger Entwicklung, wenn sie innovative Produkte und Techniken nutzen, die sicher und ressourcenschonend sind. Ziel des Umweltbundesamtes ist es, negative Wirkungen der chemischen Industrie und der Verarbeitung und Anwendung von Chemikalien auf Mensch und Umwelt vermeiden zu helfen. Wenn Produkte und Verfahren weniger Ressourcen verbrauchen, entlastet dies die Umwelt und spart gleichzeitig Kosten für die Unternehmen. Nachhaltigkeit und angewandte Chemie müssen aus Sicht des Umweltbundesamtes untrennbar verknüpft werden, als Grundvoraussetzung für eine Innovationspolitik, die gleichzeitig Umwelt und Gesundheit schützt. Das Umweltbundesamt will Forum und Partner für Akteure sein, die Ideen und Ansätze für die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Chemie austauschen, ein gemeinsames Verständnis der zentralen Ziele finden und Ansätze für gemeinsames wirkungsvolles Handeln entwickeln wollen.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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