Vorsorgeprinzip

Sind Schäden für die Umwelt bereits eingetreten, bleibt nur, diese durch Nachsorge zu beseitigen. Besteht eine Gefahr für die Umwelt – sind Schäden für die Umwelt also mit einiger Wahrscheinlichkeit absehbar – gebietet es die Gefahrenabwehr, deren Eintritt zu verhindern. Einen wichtigen Schritt weiter geht die Vorsorge: Sie soll verhindern, dass Gefahren für die Umwelt überhaupt erst entstehen. Das Vorsorgeprinzip leitet uns also dazu an, frühzeitig und vorausschauend zu handeln, um Belastungen der Umwelt zu vermeiden.

Die beiden Dimensionen des Vorsorgeprinzips sind Risikovorsorge und Ressourcenvorsorge. Risikovorsorge bedeutet, bei unvollständigem oder unsicherem Wissen über Art, Ausmaß, Wahrscheinlichkeit sowie Kausalität von Umweltschäden und -gefahren vorbeugend zu handeln, um diese von vornherein zu vermeiden. Ressourcenvorsorge meint, dass wir mit den natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft schonend umgehen, um sie langfristig zu sichern und im Interesse künftiger Generationen zu erhalten.

Leitlinie der Umweltpolitik

Das Vorsorgeprinzip ist Leitlinie der Umweltpolitik auf der deutschen, der EU- und der internationalen Ebene. Es spielt als solche eine zentrale Rolle bei umweltpolitischen Entscheidungen. Bereits im Umweltbericht von 1976 und in den „Leitlinien Umweltvorsorge“ aus dem Jahr 1986 erklärte die Bundesregierung das Vorsorgeprinzip – neben dem Verursacher- und dem Kooperationsprinzip – zum Handlungsprinzip ihrer Umweltpolitik. Auch die Umweltpolitik der Europäischen Union beruht auf dem Vorsorgeprinzip (Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union). In ihrer Mitteilung über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips aus dem Jahr 2000 betont die Europäische Kommission den Stellenwert des Vorsorgeprinzips als wesentliches Element der EU-Politik bei der Risikovorsorge. Auf internationaler Ebene bekannten sich die Teilnehmer der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 dazu, zum Schutz der Umwelt den Vorsorgegrundsatz anzuwenden. Zudem ist das Vorsorgeprinzip völkerrechtlich in einigen internationalen Übereinkommen wie etwa der ⁠UN⁠-Klimarahmenkonvention und dem ⁠OSPAR⁠-Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks verankert.

Auch für die Arbeit des Umweltbundesamtes ist das Vorsorgeprinzip eine wichtige Leitlinie, verstehen wir uns doch als ein Frühwarnsystem, das mögliche zukünftige Beeinträchtigungen des Menschen und der Umwelt rechtzeitig erkennt, bewertet und Lösungen vorschlägt.

Prinzip des Umweltrechts

Das Vorsorgeprinzip ist eines der Hauptprinzipien des deutschen Umweltrechts. Es ist in Artikel 34 Absatz 1 des Einigungsvertrags als Selbstverpflichtung des Gesetzgebers ausdrücklich geregelt und damit geltendes Bundesrecht. Das Vorsorgeprinzip ist darüber hinaus in Artikel 20a des Grundgesetzes verankert. Dieser beauftragt den Staat, auch in Verantwortung für künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, was neben Gefahrenabwehr auch Vorsorge gebieten kann.

Das Vorsorgeprinzip ermöglicht es dem Staat insbesondere, Situationen der Ungewissheit rechtlich zu bewältigen, und stellt sicher, dass der Staat auch in diesen Situationen handlungsfähig ist. Es kann umweltschützendes staatliches Handeln legitimieren oder sogar gebieten. In Situationen der Ungewissheit können die Folgen eines Tuns für die Umwelt wegen unsicherer oder unvollständiger wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht endgültig eingeschätzt werden, die vorliegenden Erkenntnisse geben aber Anlass zur Besorgnis. In diesen Fällen muss der Staat nicht abwarten, bis Gewissheit besteht, sondern er kann unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den Besorgnisanlass reagieren. Wie er dies tut, legt das Vorsorgeprinzip nicht im Einzelnen fest. Der Gesetzgeber muss vielmehr entscheiden, wie er Vorsorge rechtlich und instrumentell gestaltet. Die Bandbreite der möglichen Reaktionen geht dabei von Maßnahmen, die der Informationsgewinnung dienen, bis zu solchen, die ein bestimmtes Tun untersagen oder zum Beispiel bestimmte gefährliche Stoffe verbieten. Das Vorsorgeprinzip kann dabei das Beweismaß reduzieren und erlauben, die Beweislast zu verlagern: Für staatliches Handeln bedarf es nicht der Überzeugung, dass ein Risiko tatsächlich vorliegt. Vielmehr genügen plausible oder ernsthafte Anhaltspunkte für ein Umweltrisiko. Liegen diese vor, ist es Sache des Risikoverursachers, die begründeten Anzeichen für bestimmte Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu widerlegen und die der Besorgnis unterliegenden Annahmen zu erschüttern.

Der Gesetzgeber hat das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht durch verschiedene Vorschriften als Rechtssatz verankert, konkretisiert und instrumentell umgesetzt. Er hat damit zugleich die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass der Staat, der vorsorgend tätig wird, in die Rechte von Personen eingreifen kann. Beispiele für die ausdrückliche Umsetzung sind:

  • § 5 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen verpflichtet, Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen zu treffen und
  • die spezielle Vorsorgepflicht in § 5 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes, die potenziell Hochwasserbetroffene zur Eigenvorsorge gegen nachteilige Auswirkungen verpflichtet. 

Eine besondere Ausprägung erfährt das Vorsorgeprinzip durch den gesetzlich verankerten Besorgnisgrundsatz. Dieser findet sich zum Beispiel in den § 32 und 48 des Wasserhaushaltsgesetzes, die an die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnisse strenge Maßstäbe zum Schutz von Oberflächengewässern und Grundwasser anlegen. Gesetzliche Regelungen, die auch ohne deren ausdrückliche Nennung der Vorsorge zuzurechnen sind, sind zum Beispiel die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 5 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes und die Produktverantwortung des § 23 Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Auch Vorschriften, die dazu verpflichten, den Umweltschutz bei der Planung zu berücksichtigen wie zum Beispiel die Regelungen zur strategischen Umweltprüfung des Gesetzes über die ⁠Umweltverträglichkeitsprüfung⁠ setzen das Vorsorgeprinzip um.

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 Umweltrecht  Vorsorgeprinzip