Eintrag und Vorkommen von Humanarzneistoffen in der Umwelt
Rückstände von Arzneimitteln belasten weltweit Gewässer und Böden. Sie werden auch im Grundwasser nachgewiesen und manchmal sogar im Trinkwasser. Humanarzneistoffe gelangen hauptsächlich über die menschlichen Ausscheidungen ins Abwasser und dann über die Kläranlagen in die Gewässer. Wegen des steigenden Arzneimittelverbrauchs ist mit einer Erhöhung der Umweltbelastungen zu rechnen.
Arzneimittel gehören zu den wichtigen Werkzeugen der Medizin und sind in unserem Leben allgegenwärtig. Fast alle Menschen nehmen bei Bedarf oder regelmäßig Medikamente ein. Im Laufe des menschlichen Lebens steigt der Arzneimittelverbrauch statistisch gesehen drastisch an. So war 2018 der Pro-Kopf-Verbrauch der gesetzlich Versicherten in der Altersgruppe 20- bis 24-Jahre mit durchschnittlich 76 empfohlenen Tagesdosen (defined daily dose DDD) pro Jahr am niedrigsten. Der höchste Verbrauch war in der Altersgruppe 85-89 Jahre mit 1742 DDD zu verzeichnen, der 23-fachen Menge (1). Aufgrund des demografischen Wandels in unserer Gesellschaft wird der Arzneimittelverbrauch stetig zunehmen. Laut einer Studie ist bis ins Jahr 2045 ein Anstieg von ca. 40 bis 70 Prozent, je nach Szenario, zu erwarten (2). In Deutschland sind rund 2.500 verschiedene Arzneiwirkstoffe (3) in über 100.000 Humanarzneimitteln verfügbar (4) mit jährlichen Verbrauchsmengen von mehr als 35.000 Tonnen (3). Diese Präparate gliedern sich auf in:
2021 wurden Medikamente am häufigsten bei folgenden Erkrankungen verschrieben (5):
1. Herz-Kreislauf-Erkrankungen (33 %) 2. Schmerzen und Entzündungen (13 %) 3. Erkrankungen des Nervensystems (11 %) 4. Magen-Darm-Erkrankungen (7 %) 5. Regulation des Hormonsystems (6 %) 6. Diabetes (5 %)
Der Verbrauch von Antibiotika ist zwischen 2006 und 2019 kontinuierlich von 579 t auf 682 t gestiegen, seitdem gehen die Verbräuche zurück, zuletzt auf 576 t in 2021 (6).
Etwa die Hälfte der Humanarzneiwirkstoffe bewertet das Umweltbundesamt als potenziell umweltrelevant, d. h. für diese wäre nach den aktuellen Bewertungskriterien der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eine vertiefte Umweltbewertung notwendig.
Die rund 1.300 Humanarzneimittelwirkstoffe mit möglicher Umweltrelevanz entsprechen einem jährlichen Verbrauch von ca. 10.000 Tonnen (3). Als nicht umweltrelevant gelten Substanzen wie pflanzliche Arzneimittel, Elektrolyte, Vitamine, Peptide, Aminosäuren sowie viele natürlich in der Umwelt vorkommende Substanzen wie Mineralien. Die genannten Stoffgruppen sind in der Regel abbaubar, werden im Körper vollständig verstoffwechselt oder der Eintrag durch Arzneimittel ist im Vergleich zum natürlichen Vorkommen vernachlässigbar. Über 50 % des Verbrauchs entfallen auf die Wirkstoffe Metformin, Ibuprofen, Metamizol, Acetylsalicylsäure und Paracetamol (3).
Humanarzneistoffe gelangen über das Abwasser in die Umwelt
Täglich werden viele Tonnen Arzneimittel angewendet. Ein großer Teil der Wirkstoffe gelangt unverändert und weiterhin wirksam über die natürlichen Ausscheidungsprozesse mit dem Abwasser in die Kläranlagen, ein anderer Teil wird von Mensch und Tier in Form von Abbauprodukten ausgeschieden. Ein Großteil der Substanzen kann in den üblichen Kläranlagen nicht vollständig zurückgehalten werden und wird daher über die Kläranlagenabläufe in die Umwelt eingetragen.
Auch durch Abwaschen nach Anwendung von Arzneimitteln auf der Haut gelangen Arzneistoffe ins Abwasser. Abwaschungen können verringert werden, indem die Hände nach dem Auftragen des Arzneimittels mit einem Papiertuch abgewischt werden, bevor sie mit Wasser gewaschen werden. Das Papiertuch muss dann im Hausmüll entsorgt werden, damit die Arzneistoffe nicht in das Abwasser gelangen. Dies gilt z. B. auch für gebrauchte Taschentücher nach der Anwendung von Nasentropfen/-salben. Ein weiterer Eintragsweg von Arzneistoffen ins Abwasser ist die unsachgemäße Entsorgung nicht verbrauchter Medikamente über Abfluss und Toilette.
Die Applikationsform eines Medikamentes beeinflusst auch die Menge an Wirkstoffen, die in die Umwelt gelangen. Bei der Behandlung von z. B. Muskel und Gelenkschmerzen können transdermale Pflaster zu weniger Umwelteinträgen als Schmerzsalben führen. Parenterale Applikationsformen (Infusionen, Injektionen) bieten in der Regel das beste Verhältnis von Dosierung und Umwelteintrag.
In den Kläranlagen wird ein Teil der im Abwasser enthaltenen Arzneiwirkstoffe oder deren Metabolite durch Mikroorganismen abgebaut und/oder durch Adsorption am Klärschlamm zurückgehalten. Der übrige Teil gelangt mit den Kläranlagenabläufen in die Oberflächengewässer. In der Umwelt können diese Rückstände teilweise weiter abgebaut werden. Die so gebildeten Umwandlungsprodukte (Transformationsprodukte) sind oft weniger oder gar nicht mehr arzneilich wirksam, können aber problematische Umwelteigenschaften haben, wie z. B. länger in der Umwelt verbleiben (Stoffe sind also persistent) oder in das Grundwasser versickern. Einige Transformationsprodukte können in der Umwelt durch Umwandlungsprozesse z. B. durch Bakterien auch wieder in ihre wirksame Ausgangsform zurückverwandelt werden (7).
Der größte Teil des Klärschlamms (2022: 80,2 %) wird in Deutschland z. B. durch Mitverbrennung in Müllheizkraftwerken thermisch verwertet, wobei die Arzneiwirkstoffe zerstört werden (8). In Deutschland wird auch im Jahr 2024 noch Klärschlamm als Wirtschaftsdünger auf landwirtschaftliche Nutzflächen ausgebracht, wodurch Arzneimittelrückstände auf Böden gelangen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes fielen 2022 ca. 1,67 Millionen Tonnen Klärschlamm (Trockenmasse) aus öffentlichen Abwasserbehandlungsanlagen in Deutschland an. Davon wurden 13,9 % als Dünger in der Landwirtschaft verwertet und 0,8 % bei Maßnahmen des Landschaftsbaus eingesetzt (8). Mit der Klärschlammverordnung, die 2017 in Kraft trat, wurde die Klärschlammaufbringung mengenmäßig reduziert und auf Ackerflächen begrenzt. Die Aufbringung auf Anbauflächen für Gemüse und Obst, auf Dauergrünland und in bestimmten Wasserschutzgebieten ist seitdem unzulässig.
Die Erweiterung von Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe wäre eine Möglichkeit, Arzneistoffe in Kläranlagenabläufen zu entfernen. Dabei kommen verschiedene Verfahren in Frage (z. B. Aktivkohleadsorption, Ozonung oder Membranfiltration), die für die Elimination der einzelnen Arzneistoffe unterschiedlich effektiv sind. Die EU-Kommission hat im Oktober 2022 vorgeschlagen, alle größeren Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe auszustatten. Der Europäische Rat hat die überarbeitete kommunale Abwasserrichtlinie am 05.11.2024 final beschlossen. Diese ist innerhalb von 30 Monaten in nationales Recht umzusetzen. Die überarbeitete Kommunale Abwasserrichtlinie (KARL) sieht vor, dass die Kosten für Einführung und Betrieb der 4. Reinigungsstufe zu 80 % durch Hersteller von Arzneimitteln und Kosmetikprodukten getragen werden (9). Durch den verbesserten Rückhalt in der Kläranlage wird es nach einigen Jahren in großen Flüssen weniger Rückstände von Arzneimitteln geben. Die 4. Reinigungsstufe ist ein wichtiger Baustein aber keine alleinige Lösung, da nicht alle Arzneistoffe zurückgehalten werden. Beispielsweise Guanylharnstoff (der Hauptmetabolit von Metformin) oder Valsartan werden weder von der biologischen dritten noch von der adsorptiven vierten Reinigungsstufe zurückgehalten. Daher ist es weiterhin ökologisch und ökonomisch sinnvoll, Vermeidungsmaßnahmen in der medizinischen und pharmazeutischen Praxis zu realisieren. Durch eine alleinige Aufrüstung der Kläranlagen können bei einigen Arzneistoffen die von der EU vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen (UQN) nicht erreicht werden.
Auch Produktionsabwässer der pharmazeutischen Industrie können Arzneistoffe enthalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der AOK Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wasserforschung (IWW) nach Überprüfung von 10 Produktionsstandorten in Indien und Europa. Die Messungen von 18 Antibiotika zeigen hohe Konzentrationen im Produktionsabwasser von 4 Standorten und den umliegenden Gewässern (10).
Während für Humanarzneistoffe Kläranlagenabläufe den Haupteintragspfad in die Umwelt darstellen, sind es für Tierarzneistoffe Düngemittel, welche in Form von Gülle und Mist behandelter Tiere auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht werden.
Neben Human- und Tierarzneistoffen werden auch andere Gruppen von Mikroverunreinigungen in die Umwelt eingetragen. Weitere wichtige Gruppen dieser Spurenstoffe sind z. B. Pflanzenschutzmittel, Biozide, polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und weitere Chemikalien.
Arzneistoffe werden überall in der Umwelt gefunden
Eher zufällig wurde Anfang der 1990er Jahre der erste Arzneistoff in deutschen Gewässern nachgewiesen. Dabei handelte es sich um Clofibrinsäure, ein Metabolit des häufig verschriebenen Lipidsenkers Clofibrat, der bei der Suche nach Pflanzenschutzmittelrückständen im Berliner Grundwasser aufgefallen war (11).
Seit dem „Berliner Clofibrinsäurefund“ ist das Thema Arzneistoffe in der Umwelt zunehmend in den Fokus von Wissenschaft und Behörden gerückt. In Deutschland werden Arzneimittelrückstände mittlerweile im Rahmen der Gewässerüberwachung der Bundesländer regelmäßig gemessen. Dabei werden Arzneimittelrückstände inzwischen flächendeckend in Fließgewässern, Böden aber auch im Grundwasser und vereinzelt sogar im Trinkwasser nachgewiesen.
Im Jahr 2020 wurden 414 Arzneimittelwirkstoffe inklusive deren Abbauprodukte gefunden, 145 mehr als noch 2016 (12). Es werden Vertreter von allen wichtigen Wirkstoffklassen nachgewiesen, besonders häufig aber:
jodierte Röntgenkontrastmittel
Antiepileptika, insbesondere Carbamazepin
Analgetika/Antiphlogistika, insbesondere Diclofenac und Ibuprofen
Antibiotika, insbesondere Sulfamethoxazol
Lipidsenker
Beta-Blocker
Zahlreiche Arzneimittelwirkstoffe werden in Oberflächengewässern im Konzentrationsbereich von 0,1 bis 1,0 Mikrogramm pro Liter (µg/L) gemessen. Viele werden in geringeren und einige auch in deutlich höheren Konzentrationen gefunden. Die Bundesländer haben bereits seit Jahren freiwillig die Bestimmung zahlreicher Arzneimittelrückstände in ihre Beobachtungsmessprogramme für Flüsse und Seen integriert. Eine Auswertung aus dem Jahr 2021 zeigt, dass insgesamt 41 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe und 12 Abbauprodukte aus dreizehn Wirkstoffklassen in Konzentrationen von über 0,1 µg/L, angelehnt an den Gesundheitlichen Orientierungswert (GOW) für Trinkwasser, in deutschen Oberflächengewässern gemessen wurden. Auffallend hohe Konzentrationen zeigten zum Beispiel das Diabetesmittel Metformin, Röntgenkontrastmittel und Blutdrucksenker (siehe Abb. „Arzneimittelwirkstoffe in Oberflächengewässern“). Besonders hohe Konzentrationen von Humanarzneistoffen werden in den Abläufen der Kläranlagen gemessen. Oberflächengewässer, die einen hohen Anteil an Abwasser aus kommunalen Kläranlagen aufnehmen, enthalten folglich auch sehr viele Arzneimittelrückstände. Auch im Grundwasser und vereinzelt im Trinkwasser werden verschiedene Arzneimittelwirkstoffe oder deren Abbauprodukte gefunden. Klärschlamm, der bei der Abwasserreinigung anfällt, kann ebenfalls hohe Konzentrationen an Arzneimittelrückständen enthalten. Bis 2020 wurden 24 verschiedene Wirkstoffe in Klärschlamm in Deutschland nachgewiesen. Insgesamt ist die Anzahl der Arzneistofffunde in Klärschlamm deutlich niedriger als in Oberflächengewässern. Grund dafür ist, dass wegen vergleichsweise aufwendigen Nachweismethoden bisher nur eine kleine Anzahl von Wirkstoffen in Klärschlämmen untersucht wurde. Arzneistoffe gehören zudem nicht zu den Parametern, die laut Klärschlammverordnung gemessen werden müssen.
Das Umweltbundesamt sammelt Daten zu weltweiten Arzneistofffunden in der Umwelt in der UBA-Datenbank „Arzneimittel in der Umwelt“. Bis 2020 wurden bei Untersuchungen von Proben in 89 Ländern weltweit 992 pharmazeutische Wirkstoffe und deren Abbauprodukte oberhalb der Nachweisgrenze in Böden, Oberflächengewässern und Sedimenten gemessen, das sind 221 Wirkstoffe mehr als 2016. Davon wurden 37 Stoffe, wie zum Beispiel Diclofenac, in allen untersuchten Ländern im Oberflächengewässer, Grundwasser und Trinkwasser gefunden. In einigen Ländern lag die Konzentration bestimmter Arzneimittelwirkstoffe in Oberflächengewässern in einem Bereich, in dem negative Wirkungen z. B. auf Fische nicht ausgeschlossen werden können (12).
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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