Umweltaspekte bei der Zulassung von Humanarzneimitteln
Die Prüfung der Umweltwirkung von Human- und Tierarzneimitteln ist seit Jahren fester Bestandteil des Zulassungsverfahrens. Sie ist in Deutschland seit 1998 gesetzlich vorgeschrieben. Zuständig für die Umweltrisikobewertung ist das Umweltbundesamt.
Das Umweltbundesamt hat unter anderem den gesetzlichen Auftrag, die Umweltrisiken im Rahmen der Marktzulassung von Human- und Tierarzneimitteln zu bewerten und wenn nötig Maßnahmen zum Schutz der Umwelt zu beauflagen. Sind bei einem Tierarzneimittel keine Risikominderungsmaßnahmen möglich, kann das Umweltbundesamt der Zulassung aus Umweltgründen nicht zustimmen. Humanarzneimittel werden bisher trotz Umweltrisiko immer zugelassen.
Rechtlicher Rahmen
Die Zulassung und der Handel mit Arzneimitteln für Mensch und Tier werden durch die Gesetze über den Verkehr mit Arzneimitteln (Humanarzeimittel – Arzneimittelgesetz, AMG; Tierarzneimittel – Tierarzneimittelgesetz, TAMG) geregelt. Zweck der Gesetze ist es, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung vor allem für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen. Dem Problem der Arzneimittelrückstände in der Umwelt hat der Gesetzgeber erstmals Mitte der 1990er-Jahre Rechnung getragen. Das Umweltbundesamt ist bereits seit 1998 als mitprüfende Einvernehmensbehörde im Rahmen der Tierarzneimittelzulassung aktiv. Es bewertet potenzielle Umweltrisiken, die von Tierarzneimitteln ausgehen. Das Umweltbundesamt bestimmt, welche Tierarzneimittel nur mit Auflagen zum Schutz der Umwelt zugelassen werden und kann unter bestimmten Umständen einer Marktzulassung nicht zustimmen. Für Humanarzneimittel ist eine Nichtzustimmung zu einer Marktzulassung aus Umweltgründen bisher nicht vorgesehen.
Für Humanarzneimittel verlangte erst die EU-Richtlinie 2001/83/EG, geändert durch die Richtlinie 2004/27/EG, zwingend die Prüfung möglicher Auswirkungen auf die Umwelt bei der Zulassung. Seitdem sind im Zulassungsverfahren auch Unterlagen einzureichen, die eine Bewertung des potenziellen Risikos für die Umwelt durch die Anwendung eines Arzneimittels ermöglichen. Auch die Zulassung von Humanarzneimitteln kann mit Auflagen zum Schutz der Umwelt verbunden werden.
Der Gemeinschaftskodex 2001/83/EC sowie die EU Verordnung 726/2004/EC regeln die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulassung neuer Humanarzneimittel. Seit dem 7. Juli 2019 ist die neue Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 für Tierarzneimittel in Kraft, die die Richtlinie 2001/82/EC aufhebt.
Die Europäische Arzneimittelrechtsreform stärkte mit den Änderungsrichtlinien 2004/27/EC sowie 2004/28/EC die Anforderungen an die Umweltsicherheit der Medikamente für Mensch und Tier. Das deutsche Arzneimittelgesetz zur Ein- und Ausfuhr und zum Verkehr mit Arzneimitteln hat diese EU Regelungen 2005 umgesetzt.
Ablauf einer Umweltrisikobewertung für Humanarzneimittel
Unternehmen, die Humanarzneimittel auf den Markt bringen möchten, müssen eine Umweltrisikobewertung (sogenanntes ERA – environmental risk assessment) vornehmen und dieses mit ihrem Antrag auf Zulassung einreichen. Die Anforderungen an das ERA sind in einem Leitfaden der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA formuliert. Dieser wurde vom Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) erstmalig im Juni 2006 verabschiedet und wurde am 1. September 2024 durch eine überarbeitete Version ersetzt (1). Der Leitfaden:
legt fest, welche Arzneimittel überhaupt einer Umweltrisikobewertung unterzogen werden müssen: Pflanzliche Stoffe, Vitamine und Aminosäuren sind beispielsweise ausgenommen.
beschreibt die Prüfstrategie und den Prüfumfang.
gibt die konkreten Datenanforderungen für Umweltexposition, Verbleib und Verhalten des Wirkstoffes in der Umwelt sowie zu dessen Ökotoxizität vor.
Grundsätzlich wird die aktive Substanz, also der Wirkstoff, bewertet. Die Umweltbewertung besteht aus der Risikobewertung (Risk Assessment) und der Gefährlichkeitsbewertung (PBT/vPvB Assessment). Beide Bewertungen erfolgen in einem zweistufigen Verfahren.
Phase I Risikobewertung
Die Phase I Risikobewertung ist immer durchzuführen. Diese folgt einem Entscheidungsbaum, anhand dessen Produkte identifiziert werden, die als umweltrelevant erachtet werden und für die eine vertiefte Phase II Risikobewertung notwendig ist.
Eine Phase II Risikobewertung ist nicht notwendig für die folgenden Fälle:
Der Arzneistoff ist eine natürlich vorkommende Substanz.
Es ist ein Antrag für ein Generikum, wenn derselbe Wirkstoff bereits früher bewertet wurde, der Standard-Markdurchdringungsfaktor verwendet wurde und eine Erhöhung des Umwelteintrags im Vergleich zu der bestehenden Umweltbewertung nicht zu erwarten ist.
Der Arzneistoff ist ein nicht-natürliches Peptid/Protein, welches biologisch leicht abbaubar ist.
Für die Produkte, die nicht unter die oben genannten Punkte fallen, ist die Notwendigkeit einer Phase II Risikobewertung letztendlich abhängig von der berechneten zu erwartenden Konzentration des Arzneistoffes im Oberflächengewässer, die PECsw (Predicted Environmental Concentration surface water). Der Triggerwert, das sogenannte „Action limit“ beträgt 0,01 Mikrogramm pro Liter, ab dem eine verfeinerte Phase II Risikobewertung vorzulegen ist.
In einer ersten Berechnung gehen die maximale Tagesdosis, ein festgelegter Marktdurchdringungsfaktor von 1 %, der tägliche Wasserverbrauch einer Person sowie ein Faktor für die Verdünnung des Kläranlagenablaufs in das Oberflächengewässer ein. Ist dieser erste PECsw größer als 0,01 Mikrogramm pro Liter, kann der Wert verfeinert werden, indem ein für die Indikation spezifischer Markdurchdringungsfaktor sowie das Behandlungsregime in die Berechnung mit einbezogen werden können.
Liegt der verfeinerte PECsw immer noch über 0,01 Mikrogramm pro Liter, so ist eine Phase II Risikobewertung notwendig. Anderenfalls endet die Risikobewertung in Phase I.
Für bestimmte Arzneistoffe, wie zum Beispiel endokrin aktive Stoffe und Antiparasitika, können auch unterhalb des „Action limits“ von 0,01 Mikrogramm pro Liter Risiken für Organismen in der Umwelt bestehen. Für diese Arzneistoffe ist unabhängig von der zu erwartenden Umweltkonzentration eine vertiefte Phase II Risikobewertung vorzunehmen. Im Fall von Stoffen mit spezifischen Wirkmechanismen, wie z. B. bei endokrin wirksamen Substanzen, ist eine angepasste Teststrategie, je nach spezifischem Wirkmodus, notwendig.
Phase II Risikobewertung: Vertiefte Umweltrisikobewertung
In Phase II werden anhand der vom Antragsteller vorgelegten Daten die physiko-chemischen Eigenschaften des Arzneistoffes bestimmt, wie z. B. die Wasser- und Fettlöslichkeit und die Anlagerung (Adsorption). Weiterhin wird die leichte biologische Abbaubarkeit des Wirkstoffes ermittelt sowie seine mögliche Toxizität gegenüber Kläranlagenmikroorganismen, aquatischen Stellvertreterorganismen und Sedimentbewohnern und ob möglichweise ein Risiko für diese Organismen besteht. Diese Stellvertreterorganismen sind in der Regel Algen, Wasserflöhe, Zuckmückenlarven oder Glattwürmer, und Fische, die in längerfristigen Studien getestet werden. Tests an Bodenorganismen sind nur vorzulegen, wenn der Wirkstoff die Neigung hat, stark an Klärschlamm zu binden und über Klärschlammausbringung auf landwirtschaftliche Böden gelangen könnte. Bei einem geringen Anlagerungspotenzial, bei dem eine Versickerung in das Grundwasser aufgrund der Mobilität des Wirkstoffes nicht auszuschließen ist, wird auch eine Grundwasser-Risikobewertung notwendig. Ab einer gewissen Fettlöslichkeit muss auch das Anreicherungspotenzial in Organismen (Bioakkumulation) untersucht werden und basierend darauf unter Umständen auch das mögliche Risiko einer Sekundärvergiftung über die Nahrungskette (secondary poisoning) betrachtet werden.
Der in Phase I berechnete Eintrag in die Umwelt (PEC) wird mit der "Predicted No Effect Concentration" (PNEC), die sich aus den Toxizitätstests ergeben, verglichen. Die PNEC leitet sich aus der niedrigsten experimentell ermittelten "No Observed Effect Concentration" (NOEC) ab – der Konzentration, bei der noch keine Effekte im getesteten Umweltorganismus auftraten, auf die ein Sicherheitsfaktor angewendet wird. Ist der Quotient von PEC und PNEC größer 1, wird von einem Risiko für die Umwelt ausgegangen. In diesem Fall kann die Risikobewertung verfeinert werden, indem in die PECsw Berechnung weitere Daten einfließen können, wie z. B. der Metabolismus im Körper und die Abbaubarkeit in Kläranlagen, um den PECsw zu minimieren.
PBT/vPvB Screening
Unabhängig von der Risikobewertung muss für jeden Arzneistoff auch ein PBT/vPvB Screening vorgenommen werden, d. h. es ist zu prüfen, ob der Arzneistoff potenziell langlebig (persistent = P, very persistent = vP), (sehr) bioakkumulierend (B bzw. vB) und toxisch (T) sein könnte. Diese Stoffcharakteristika sind unabhängig von der Umweltkonzentration und die Effekte bei längerfristiger Exposition sind schwer vorhersehbar. Daher gelten Substanzen, die über alle drei Eigenschaften verfügen, allgemein als besonders gefährlich.
Das PBT/ vPvB Screening folgt ebenfalls einem Entscheidungsbaum, über den die Stoffe identifiziert werden, für die eine definitive PBT/vPvB Bewertung anzuschließen ist. Ein PBT/PvB Screening ist nicht notwendig für die folgenden Fälle:
Der Arzneistoff ist eine natürlich vorkommende Substanz.
Es ist ein Antrag für ein Generikum, für dessen Wirkstoff eine PBT/vPvB-Bewertung existiert und der aktuelle Antragsteller darauf zugreifen kann.
Der Arzneistoff ist ein nicht-natürliches Peptid/Protein, welches biologisch leicht abbaubar ist.
Für die Arzneistoffe, die nicht unter die oben genannten Punkte fallen, ist die Notwendigkeit einer definitiven PBT/vPvB Bewertung letztendlich abhängig von dessen logKow Wert (n-Octanol-Wasser-Verteilungskoeffizient Kow), der die Fettlöslichkeit beschreibt. Ab einen logKow von größer 4,5 ist eine definitive PBT/vPvB Bewertung durchzuführen.
PBT/vPvB Bewertung
Die PBT/vPvB Bewertung von Arzneimitteln orientiert sich an der REACH guidance zur PBT/vPvB Bewertung (R.11), der soweit möglich gefolgt werden sollte (2).
Hier wird auf der Basis experimenteller Laborstudien überprüft, ob die einzelnen Kriterien erfüllt sind:
Persistenz: z. B. Abbauverhalten in Simulationsstudien, d. h. Transformation in Wasser/Sedimentsystemen oder Abbau in Böden
Bioakkumulation: Bioakkumulationsstudien in Fisch
Längerfristige Toxizitätsstudien an Alge, Wasserfloh oder Fisch
Ist ein Kriterium bereits nicht erfüllt (z. B. P), kann auf die folgenden Studien zu B und T verzichtet werden und der Stoff wird als nicht PBT/vPvB eingestuft.
Anforderungen an die Datenqualität
Auf eine hohe Qualität der Datenbasis für die Umweltrisikobewertung von Arzneimitteln wird von behördlicher Seite großer Wert gelegt. Um zu erreichen, dass nur valide und plausible Daten in die Bewertung eingehen, werden in der Regel nur Studien berücksichtigt, die in Übereinstimmung mit Standardtestmethoden nach OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) oder ISO (Internationale Organisation für Normung) durchgeführt wurden. Die einzureichenden Studien, wie sie der EMEA-Leitfaden fordert, müssen zudem vollständig und nach Guter Laborpraxis durchgeführt sein. Es besteht allerdings die Möglichkeit statt Studien Literaturdaten einzureichen. Diese müssen jedoch ein Mindestmaß an Qualität, Zuverlässigkeit und Informationsgehalt erfüllen. So können zum Beispiel reine Zitate von Endpunkten wie EC50-Werte nicht akzeptiert werden, da aus diesen Angaben nicht ersichtlich wird, unter welchen Bedingungen die Tests durchgeführt wurden und ob diese die geforderten Plausibilitäts- und Validitätskriterien erfüllen. Zu den regulatorischen Anforderungen an Literaturdaten finden sich in den folgenden Artikeln Informationen, die Antragstellern die Einschätzung der Qualität und Verwendbarkeit von Literaturdaten erleichtern kann:
Ergebnisse einer Umweltrisikobewertung und mögliche Maßnahmen
Die Erfahrungen des Umweltbundesamtes haben gezeigt, dass bei der Umweltprüfung von Humanarzneimitteln weniger häufig ein Umweltrisiko festgestellt wird als bei Tierarzneimitteln. Ein Grund dafür ist, dass bei Tierarzneimitteln meist Arzneistoffe aus den gleichen Wirkstoffklassen wie z. B. Antiparasitika und Antibiotika zur Anwendung kommen, die generell ein Umweltrisiko darstellen. Die Arzneistoffe in der Humanmedizin, bei denen in den letzten Jahren ein Risiko identifiziert wurde, haben zur Hälfte endokrine Wirkweisen (z.B. Hormone oder neuroendokrine Substanzen).
Um das identifizierte Umweltrisiko zu mindern, sollte der Eintrag dieser Wirkstoffe in die Umwelt auf das notwendige Maß verringert werden. Die behördlichen Maßnahmen im Rahmen der Zulassung von Arzneimitteln sind begrenzt. In der Fachinformation, die für Ärzte- und Apothekerschaft zugänglich sind, finden sich unter Punkt 5.3 Hinweise, wenn für den Wirkstoff ein Umweltrisiko identifiziert oder der Wirkstoff als PBT/vPvB eingestuft wurde. Außerdem enthalten alle Packungsbeilagen einen Hinweis zur Entsorgung. Der Entsorgungshinweis wurde 2019 im Rahmen des Stakeholder-Dialogs "Spurenstoffstrategie des Bundes" neu formuliert:
"Entsorgen Sie Arzneimittel niemals über das Abwasser (z. B. nicht über die Toilette oder das Waschbecken). Fragen Sie in Ihrer Apotheke, wie das Arzneimittel zu entsorgen ist, wenn Sie es nicht mehr verwenden. Sie tragen damit zum Schutz der Umwelt bei. Weitere Informationen finden Sie unter www.bfarm.de/arzneimittelentsorgung."
Die Website des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verweist auf www.arzneimittelentsorgung.de zur Übersicht über die regionalen Entsorgungsvorschriften.
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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