IRL2024 - P04

Inhaltsverzeichnis

Disclaimer: Dieser Artikel ist ein Beitrag im Rahmen der Konferenz "Innenraumluft 2024" und spiegelt nicht die Meinung des Umweltbundesamtes wider. Für die Inhalte sind die genannten Autoren und Autorinnen verantwortlich.

Autorin
Eva Grünmeier

Baubiologie Grünmeier
Herrenapfelstraße 27
60435 Frankfurt am Main

Empfohlene Zitierweise: Grünmeier, E. (2024). Modell zur Bestimmung einer Baustoffkenngröße für Schimmelbildung. Beitrag P04 zur Fachtagung „Innenraumluft 2024 - Messen, Bewerten und Gesundes Wohnen“, 6.-8. Mai 2024, Dessau-Roßlau. https://www.umweltbundesamt.de/irl2024-p04

 

Modell zur Bestimmung einer Baustoffkenngröße für Schimmelbildung

Unter Anwendung standardisierter Messverfahren wurde das Schimmelverhalten von Lehmbauplatten und Gipskartonplatten in einem simulierten Leitungswasserschaden ausgewertet. Der Versuchsaufbau zeigte sich als geeignetes Modell für die Entwicklung einer neuen Baustoffkenngröße zur Beschreibung der Substratgruppe und Wachstumsrate in Bezug auf Schimmelbildung bei Durchfeuchtung.

 

1 Einführung

Die Bewertung und Beseitigung von Schimmelbildung im Innenraum sind Aufgaben im Bautenschutz und der Baubiologie, denen eine zunehmende wirtschaftliche Bedeutung in der Bau- und Versicherungsbranche zukommt. Im Fokus der Bewertung von Schimmelschäden stehen aufgrund von Haftungsansprüchen und Regulierungsfragen Leitungswasserschäden. Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung von Schimmel nach Wasserschäden existiert keine Kennzeichnung von Baustoffen hinsichtlich ihrer Substrateigenschaften und Schadenstoleranz. Die Kenntnis einer materialeigenen mikrobiellen Grundkonzentration wird fallbezogen für die Bewertung des bei einem Schaden wiederherzustellenden Normalzustandes benötigt. Außerdem dient sie der Bewertung, ob ein Baustoff den aktuellen Anforderungen an die Innenraumhygiene entspricht.

Es besteht ein Bedarf, systematisch Baustoffe hinsichtlich ihrer mikrobiologischen Hintergrundkonzentration nach der Fabrikation zu untersuchen und die Qualität der Baustoffe dahingehend zu regulieren. Unter der Annahme, dass natürliche und nachwachsende Rohstoffe eine hohe mikrobielle Grundkonzentration aufweisen, wird Schimmelbildung auf Lehmbaustoffen im Vergleich zu anderen Baustoffen häufiger toleriert. Ein Unterschied in der Bewertung von Schimmelschäden und der Sanierungsplanung gegenüber konventionellen Baustoffen kann in Theorie und Praxis festgestellt werden [1] [2][3].

Aber auch bei einem Schimmelbefall von Gipskartonplatten nach einem Leitungswasserschaden wird nicht selten über die Beteiligung von Verunreinigungen beim Einbau, Transport oder der Lagerungen als maßgebliche Faktoren für den Schimmelbefall spekuliert. Hat die Hintergrundkonzentration in der Luft, im Staub und im Material einen so bedeutenden Einfluss auf das Schimmelwachstum nach einem Leitungswasserschaden, dass die Bewertung und Handlungsempfehlung bis hin zu Haftungsfragen davon abhängt?

Es wird in dem hier vorgestellten Versuch der Frage nachgegangen, ob ein Einfluss der mikrobiellen Hintergrundkonzentration auf das Schimmelwachstum bei Durchfeuchtung bestimmt werden kann. Der Versuchsaufbau sollte reproduzierbar sein und miteinander vergleichbare Baustoffe untersucht werden. Es wurde ein Leitungswasserschaden an je zwölf Prüfkörpern von vier verschiedenen Trockenbauplatten (3) simuliert. Das Schimmelwachstum an den Oberflächen der Prüfkörper wurde unter Schutzbedingungen über 24 Tage beobachtet und kategorisiert (3.1). Das semiquantitative Kategorisierungsverfahren wurde in Anlehnung an eine 2018 in Toulouse veröffentlichte Methode zur Erforschung der Empfindlichkeit von Lehmbaustoffen gegenüber mikrobiellem Wachstum entwickelt [4]. Zuvor wurden Konzentration und Art der keimfähigen Pilzbestandteilen im Material und der Raumluft mit geeigneten mikrobiologischen Nachweisverfahrenen ermittelt [5][6][7].

 

2 Ergebnis

Sowohl in der Raumluft als auch im Material war die Hintergrundkonzentration mit keimfähigen Pilzbestandteilen gering. Auf allen Prüfkörpern zeigte sich ein für biologisches Wachstum typischer logistischer Verlauf (3.2). Die Innenausbauplatten auf Lehmbasis mit Zuschlägen aus Schilf und Hanf zeigten eine höhere Wachstumsrate als jene mit Zuschlägen aus Holzfasern und Stärke. Die Innenausbauplatten auf Gipsbasis mit hydrophobiertem Kern zeigten bei starker Durchfeuchtung eine höhere Wachstumsrate als die nichthydrophobierten Platten (3.3). Die Wachstumsrate unterscheidet sich sowohl innerhalb der Lehmbaustoffe als auch innerhalb der Gipskartonplatten gemäß des jeweiligen Durchfeuchtungsgrades (DFG).
Es kann ein Einfluss der Materialeigenschaften der Baustoffe wie Wasseraufnahme, Nährstoffangebot und ⁠pH-Wert⁠ über den linearen Vergleich mit der Wachstumsrate auf die Qualität und Quantität des Schimmelpilzwachstums abgeleitet werden. Ein Einfluss der mikrobiellen Hintergrundkonzentration kann nur tendenziell festgestellt werden. Auf das Schimmelwachstum nach starker Durchfeuchtung hat die mikrobielle Hintergrundkonzentration in diesem Versuch keinen messbaren Einfluss (3.4).

 

3 Methoden

Es wurden jeweils drei Platten von zwei verschiedenen Lehmbauplatten aus dem Zentrallager der Firma Claytec abgeholt. Jeweils drei Platten von zwei verschiedenen Gipsbauplatten mit Kartonbeschichtung (Knauf) wurden im Baumarkt gekauft. Die hergestellten Prüfkörper der vier verschiedenen Produkte wurden in Baustoffgruppen A, B, C und D eingeteilt (Tabelle 1).

Tabelle 1. Zusammenfassende Beschreibung der Materialien
Tabelle 1. Zusammenfassende Beschreibung der Materialien

Quelle der Daten: A und B Claytec e.K, C und D Knauf Gips KG

Quelle: Claytec e.K. Knauf Gips KG
 

Ausgewertet und gezählt wurden Schimmelpilze als stellvertretende Leitorganismen für einen mikrobiellen Befall. Die Bestimmung erfolgte anhand morphologischer Merkmale bis auf die Gattungsebene. Auf eine Beschreibung der morphologischen Merkmale und Diskussion der Artbestimmung wird hier verzichtet.

3.1 Ermittlung der mikrobiellen Hintergrundkonzentration
Indirektes Nachweisverfahren

Die Konzentration mit keimfähigen Pilzbestandteilen im Probenmaterial der trockenen Baustoffe wurde mittels Verdünnungsreihen ermittelt [5]. Im Rahmen dieser Arbeit wurden alle Schimmelpilzkolonien oberhalb der ⁠Nachweisgrenze⁠ für qualitative und orientierende Aussagen verwendet. Für quantitative Aussagen sind Konzentrationen unterhalb von 10 KBE pro Nährboden und Art nur mit Einschränkung geeignet. Die definitionsgemäße ⁠Bestimmungsgrenze⁠ [8][9] wurde in keiner Kultur erreicht.

<>
 

Direktes Nachweisverfahren

Die Ergebnisse der direkten Materialuntersuchung dienen als Tendenz für die qualitative Betrachtung. Bei den nachgewiesenen Pilzarten handelt es sich um ubiquitär vorhandene Arten, deren keimfähige Pilzbestandteile staub- und luftgetragen im Innenraum vorhanden sein können. Eine Besonderheit stellt der alleinige Nachweis der Art Paecilomyes sp. in den Kulturen aus dem Probematerial der Gruppe A dar.

Luftuntersuchung

Die luftgetragenen keimfähigen Pilzbestandteile aus der Umgebungsluft wurden mittels Luftkeimsammler auf Nährböden abgeschieden, kultiviert und analysiert. Die Hintergrundkonzentration der Umgebungsluft lag für die einzelnen Arten knapp oberhalb der ⁠Nachweisgrenze⁠ aber unterhalb der definitionsgemäßen ⁠Bestimmungsgrenze⁠ [9]. Es wurden drei verschiedene Pilzarten nachgewiesen, Aspergillus sp. Cladosporium sp. und Penicillium sp.

Einstellung der Durchfeuchtungsgrade

Um die Durchfeuchtungsgrade (DFG) einzustellen, wurden die Ausgleichsfeuchte sowie die maximale Wasseraufnahme für jeden Baustoff ermittelt [10] und die Ergebnisse rechnerisch auf jeden Prüfkörper übertragen. Die einzelnen Baustoffe zeigten Unterschiede in der Wasseraufnahmekapazität. Die Lehm-Trockenputzplatte 09.010, Gruppe B, sticht in Bezug auf die Wasseraufnahme hervor (Bild 1).

Je Baustoff wurden zwölf Prüfkörper mit den Abmessungen zehn Zentimeter mal zehn Zentimeter zugerichtet. Diese wurden in passenden Plastikdosen gelagert, die Dosen wurden beschriftet, der Deckel bis zum Wiegen und Wässern lose aufgelegt. Eine Stunde nach dem Wässern wurden die Dosen verschlossen (Bild 2).

<>
 

3.2 Kategorisierung des Schimmelwachstums im Verlauf von 24 Tagen

Die Lagerung der Proben erfolgte bei konstanten Umgebungsbedingungen bei einer Raumtemperatur von 23 Grad Celsius (°C) und relativer Luftfeuchte von 45 Prozent (%). Temperatur und Luftfeuchte wurden je Baustoffgruppe in einer Kontrolldose täglich kontrolliert und protokolliert. Die tägliche Beobachtung der Fläche der Prüfkörper erfolgte mittels Auflicht-Lupe in 10-facher und 30-facher Vergrößerung durch den geschlossenen transparenten Deckel der Dosen. Das Gesichtsfeld der 10-fachen Vergrößerung betrugt ein Quadratzentimeter (cm²). Pro Prüfkörper wurden 16 Gesichtsfelder zur Betrachtung der gesamten Oberfläche ausgewertet. Wachstumsfortschritte wurden kategorisiert (Tabelle 4) und durch Bildaufnahmen dokumentiert. Nach 24 Tagen wurde der Versuch beendet.

Tabelle 4. Bewertungskategorien des Schimmelpilzwachstums
Tabelle 4: Bewertungskategorien des Schimmelpilzwachstums
Quelle: Eva Grünmeier
 

Pilzstrukturen konnten mit der 30-fachen Vergrößerung bei den Prüfkörpern mit der Durchfeuchtung von 30 Prozent im Mittel ab dem Tag sieben in der Baustoffgruppe A, ab Tag sechs in der Baustoffgruppe B, ab Tag zwölf in der Baustoffgruppe C und ab Tag 13 in der Gruppe D beobachtet werden. Die Prüfkörper der Lehmbaustoffe aus Gruppe A und B starteten demnach in beiden DFG schneller. In beiden DFG erreichten die Prüfkörper der Lehmbauplatte aus Gruppe B früher die Wachstumsgrenze und wiesen am Ende der 24 Tage stärkeres Schimmelwachstum auf. Das Wachstum der Schimmelpilze, aufgetragen gegen die Zeit in Tagen, zeigte annähernd eine für biologisches Wachstum typische Kurve mit einer langsamen Startphase, einer exponentiellen Phase des beginnenden Wachstums, einer linear ansteigenden Phase und einer stationären Phase mit dem Erreichen der Wachstumsgrenze (Bild 3 und Bild 4).

<>
 

3.3 Vergleich der Wachstumsraten mit den Produkteigenschaften

Da die Baustoffe keine quantitativen Unterschiede in der Hintergrundkonzentration aufwiesen, wurde der Einfluss der Faktoren Wasserverfügbarkeit, Nährstoffangebot und ⁠pH-Wert⁠ auf die Wachstumsentwicklung geprüft. Zu diesem Zweck wurde für die Mittelwerte der Wachstumskurven die Wachstumskonstante berechnet und damit eine Wachstumsrate über die logistische Funktion abgeleitet. Dies ergab für die Prüfkörper der Innenausbauplatten auf Lehmbasis mit Zuschlägen aus Schilf und Hanf eine höhere Wachstumsrate als bei den Prüfkörpern mit Zuschlägen aus Holzfasern und Stärke und ebenfalls eine höhere Wachstumsrate als die der Gipskartonplatten (Bild 5 und Bild 6).

<>
 

Die Wasseraufnahme in Masse-Prozent (M-%) aufgetragen gegen die Wachstumsrate bei DFG 30 Prozent und DFG 60 Prozent zeigt, dass die Baustoffgruppe B, Lehm-Trockenputzplatten 09.010 mit Schilf und Hanf, die größte Wasseraufnahme und die größte Wachstumsrate aufweist. Die Wachstumsrate bei DFG 30 Prozent und DFG 60 Prozent aufgetragen zum ⁠pH-Wert⁠ zeigt, dass die Baustoffgruppe B mit einem pH-Wert nah an pH 7 die größte Wachstumsrate aufweist. Im Vergleich der Gipskartonplatten bei DFG 30 Prozent untereinander, Gruppe C und D, sind Wachstumsrate und pH-Wert der grünen Gipskartonplatte, Gruppe D größer als bei der grauen Gipskartonplatte, Gruppe C. Bei höherer Durchfeuchtung reduzieren sich die wachstumshemmenden Eigenschaften eines hohen pH-Wertes auf das Pilzwachstum.

3.4 Auswertung des Schimmelpilzwachstums nach 24 Tagen
Quantitative Auswertung

Nach 24 Tagen wurden unter Schutzbedingungen Folienkontaktproben von den Oberflächen entnommen und unter dem Lichtmikroskop ausgewertet. Die mikroskopische Analyse der Klebefilmkontaktproben der 48 Prüfkörpern erfolgte quantitativ in Myzel/cm² und Sporen/cm² und wurde semiquantitativ bewertet (Tabelle 6). Wenn charakteristische morphologische Merkmale vorhanden waren, wurde die Pilzart bis auf die Gattungsebene bestimmt. Alle Baustoffgruppen wiesen eindeutig Schimmelbefall auf den Prüfkörpern auf. Die Anzahl an Myzel und Sporen wird in die Kategorie „viel“ eingeordnet (Tabelle 5).

Tabelle 5-7: Modell zur Bestimmung einer Baustoffkenngröße für Schimmelbildung
Tabelle 5-7: Modell zur Bestimmung einer Baustoffkenngröße für Schimmelbildung

Tabelle 5 . Mikroskopische Bewertung der Folienkontaktproben
Quelle der Daten: UBA [9]

Tabelle 6. Bewertung der Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung der Klebefilmkontaktproben, Myzel pro cm², abgeleitet vom 95. Perzentil
Quelle der Daten: Eigene Darstellung

Tabelle 7. Bewertung der Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung der Klebefilmkontaktproben, Sporen pro cm², abgeleitet vom 95. Perzentil
Quelle der Daten: Eigene Darstellung

Quelle: Eva Grünmeier
 

Die statistische Signifikanzauswertung erfolgte für die Ergebnisse Sporen pro Quadratzentimeter mit dem Student-t-Test (p<0,05). Bei DFG 30 Prozent wurde in der Gruppe B signifikant mehr Sporen pro Quadratzentimeter als in der Gruppe C nachgewiesen. Bei DFG 60 Prozent wurde in der Gruppe B signifikant mehr Sporen pro cm² als in C und D nachgewiesen.

Qualitative Auswertung

Eine diverse Zusammensetzung der Pilzarten je nach Baustoff und Untersuchung konnte nachgewiesen werden. Trotz extremer Bedingungen in den Kunststoffdosen und der hohen relativen Luftfeuchtigkeit über den Versuchszeitraum hat sich abgestimmt auf Nährstoffangebot, ⁠pH-Wert⁠ und Feuchte auf allen Prüfkörpern eine individuelle Artenzusammensetzung etabliert (Bild 7).

Farbliche Darstellung in einem Säulendiagramm
Bild 7: Verteilung der nachgewiesenen Pilzarten auf Untersuchungsart und Baustoffgruppe
Quelle: Eva Grünmeier
 

Betrachtet man Pilzart und Baustoffgruppe unabhängig von der Untersuchungsmethode, lassen sich Gruppierungen erkennen (Bild 9). Die Art Acremonium sp. wurde nur in der Gruppe D, den grünen Gipskartonplatten, bei 60 Prozent Durchfeuchtung nachgewiesen. Die Art Alternaria sp. wurde ausschließlich in der Baustoffgruppe C und D, den Gipskartonplatten, bei 60 Prozent Durchfeuchtung nachgewiesen. Die Art Paecilomyces sp. ließ sich nur in den Lehmbaustoffen nachwiesen. Diese Spezies wurde in allen vier Materialuntersuchungen der Gruppe A, den Lemix®Lehmplatten und bei Durchfeuchtung in der Gruppe B nachgewiesen, den Lehm-Trockenputzplatten 09.010 mit Schilf und Hanf.

Darstellung als Säulendiagramm; Gruppe A blau, Gruppe B orange, Gruppe C grau, Gruppe D gelb
Bild 8: Verteilung Baustoffgruppen auf die nachgewiesenen Pilzarten
Quelle: Eva Grünmeier
 

4 Diskussion

Die Ergebnisse der Untersuchungen bezüglich der Auskeimung und der Wachstumsrate im Verhältnis zu den Nährstoff- und Feuchtebedingungen sind vergleichbar mit den rechnerischen Darstellungen in dem von SEDLBAUER [11] entwickelten Isoplethensystem. Die Übereinstimmung zeigt, dass der Versuchsaufbau geeignet war, um das mikrobielle Wachstum auf den ausgewählten Trockenbauplatten zu untersuchen.

Die Hintergrundkonzentration mit keimfähigen Pilzbestandteilen war auch bei den Lehmbauplatten sehr niedrig. Dennoch konnte auf beiden untersuchten Lehmbaustoffen bereits einige Tage vor den Gipskartonplatten Schimmelwachstum erkannt werden. Dies wurde auf die besseren Sorptionseigenschaften der Lehmbaustoffe zurückgeführt. Nach Zugabe von Wasser stand auf der Kartonschicht der Gipskartonplatten länger Wasser als auf den Lehmbaustoffen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der Wachstumsbeginn verzögerte, bis das zugegeben Wasser von der Gipsschicht aufgenommen wurde.

Thermophile Pilzarten wurden tendenziell häufiger in den Proben der untersuchten Lehmbaustoffe nachgewiesen. SAMSON [12] beschreibt die Pilzart Paecilomyces sp. als weltweit verbreitet und thermophil. Diese Art wird häufig aus Substraten mit einer ursprünglich hohen Temperatur isoliert wie Kompost. Es ist wahrscheinlich, dass die Bearbeitung seitens der Hersteller*innen natürlicher Baustoffe mit thermischen Verfahrenstechniken, um mikrobiologische Grundkonzentration zu reduzieren, eine Selektion der wärmeresistenteren Keime bewirkt. Die Keime, welche das Sterilisierungsverfahren überleben, haben bei Durchfeuchtung einen Wachstumsvorsprung.

Auf den imprägnierten Gipskartonplatten wurde tendenziell das Wachstum der hydrophilen Pilzart Acremonium sp. bei DFG 60 Prozent nachgewiesen. Aufgrund der Hydrophobierung der Gipsschicht bleibt der Karton länger nass. Dies bedeutet einen Wachstumsvorteil für hydrophile Pilzarten. Auf den grünen Gipskartonplatten war bei DFG 30 Prozent die Wachstumsrate höher als auf der grauen Platte. Die verringerte Sorptionsfähigkeit aufgrund der Hydrophobierung bewirkt eine höhere Wasseraktivität über der Kartonschicht gegenüber der grauen Gipskartonplatte und den Lemix®Lehmplatten und erhöht die Wasserverfügbarkeit für Pilzwachstum.

Nach 13 Tagen zeigten alle Prüfkörper der vier Baustoffgruppen sichtbares Schimmelpilzwachstum. Diese Zeitspanne vergeht nach einem Leitungswasserschaden in der Regel bis Entscheidungen bezüglich Trocknung, Rückbau und Kostenübernahme getroffen werden. Eine Überbewertung der mikrobiellen Grundkonzentration, der Substrateigenschaften aufgrund von pflanzlichen Zusatzstoffen oder Verunreinigungen durch Baustellenstaub oder Altschäden bei der Bewertung und Regulierung von Schimmelschäden ist vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt.

Eine differenzierte Einteilung von Baustoffen innerhalb der bereits von SEDLBAUER [8] [5] definierten Substratgruppe I wäre vorstellbar. Die Einteilung kann für Nicht-Sachkundige eine Warnung, welche zu schnellem Handeln bei Wasserschäden verpflichtet, darstellen. Daraus könnte eine produktspezifische Baustoffkenngröße entwickelt werden, die Verbraucher*innen und Baubeteiligten eine Orientierungshilfe hinsichtlich des Schimmelverhaltens eines Produkts bei Durchfeuchtung gibt (Tabelle 8). Die in diesem Versuch untersuchten Baustoffe konnten, abgeleitet von den Ergebnissen bei DFG 60 Prozent in zwei Kategorien eingeteilt werden, Substratgruppe S I mit einer Wachstumsrate > 0,5 und Substratgruppe S I mit einer Wachstumsrate > 0,25. Für die Kategorisierung wurde eine dekadische Darstellung gewählt (Tabelle 9).

Tabelle 8+9 Modell zur Bestimmung einer Baustoffkenngröße für Schimmelbildung
Tabelle 8+9 Modell zur Bestimmung einer Baustoffkenngröße für Schimmelbildung
Quelle: Eva Grünmeier
 

Fazit und Ausblick

Durch den Verzicht, künstlich sterile Umgebungsbedingungen zu schaffen, simulierte der Versuchsaufbau Feldbedingungen mit geringem Aufwand. Um die Wachstumsrate zu ermitteln, kann auf eine mikroskopische Auswertung der Art und Anzahl von Sporen/cm² und Myzel/cm² verzichtet werden. Durch die Einstellung der auf die Masse bezogenen Durchfeuchtungsgrade wurden charakteristische, produktspezifische Materialeigenschaften erfasst und eine gute Vergleichbarkeit der Lehmbauplatten mit den Gipsbauplatten geschaffen. Die Vorgehensweise ist für weitere vergleichende Untersuchungen geeignet. Die Beschränkung auf Schimmelpilze als Leitorganismen ist ausreichend. Durch die Vergleichbarkeit einer standardisierten Kenngröße, die ohne naturwissenschaftliches Expert*innenwissen verstanden werden kann, würden Verbraucher*innen und alle direkt am Bau Beteiligten profitieren. Die Akzeptanz von Naturbaustoffen kann durch Transparenz und Vergleichbarkeit verbessert werden und die geforderte Fachdiskussion über die mikrobielle Grundkonzentration in Naturbaustoffen durch vergleichende Untersuchungen neu in Gang gebracht werden.

Schlussbemerkung

Dieser Forschungsbericht basiert auf der Master-Thesis der Autorin zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science in dem Fernstudiengang Bautenschutz mit dem Titel: „Der Einfluss der mikrobiellen Hintergrundkonzentration auf das Schimmelwachstum an ausgewählten Innenausbauplatten bei Durchfeuchtung“. Diese Forschungsarbeit wurde betreut von Dr. Julia von Werder und Prof. Dr. Dr. Helmuth Venzmer an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften Hochschule Wismar. Die Autorin dankt Anne Klein-Vehne, Anlabo GmbH für die technische Unterstützung sowie Ulrich Röhlen, Claytec GmbH für das Zurverfügungstellen der Lehmplatten.

Über die Autorin

Eva Grünmeier ist Sachverständige für Schadstoffe und Schimmelpilze in Gebäuden und seit 2006 im eigenen Unternehmen, der Baubiologie Grünmeier, tätig. Das Interesse an der Baubiologie entstand als gelernte Schreinerin 1996. Im Jahr 2013 erlangte sie den Bachelor of Science im Fachbereich Biowissenschaften an der Goethe Universität in Frankfurt am Main mit einer Forschungsarbeit zur morphologischen und molekularen Charakterisierung von ausgewählten Gebäudepilzen in Panama.

 

Literatur

  • [1] Röhlen, U.; Ziegert C.: Lehmbau-Praxis – Planung und Ausführung, Beuth Praxis, Beuth Verlag GmbH, S.l., 2014.
  • [2] Volhard, F.; Röhlen, U. (Hrsg.): Lehmbau Regeln – Begriffe - Baustoffe - Bauteile. Dachverband Lehm, Praxis, Vieweg + Teubner, Wiesbaden, 2009.
  • [3] Röhlen, U.: Auftreten von Schimmelpilzen auf Lehmputzoberflächen während der Trocknung: Ein baustofftypisches Problem? In: Berufsverband Deutscher Baubiologen VDB e.V. (Hrsg.): 12. Pilztagung des VDB – Nachweis, Bewertung, Sanierung und Qualitätssicherung beim Umgang mit Schimmelpilzen im Innenraum. AnBUS e.V., Wuppertal, 2008, S. 25-33.
  • [4] Aurelie Laborel-Preneron, Kouka Ouedraogo, Alexis Simons et.al.: Improving the Methodology of Laboratory test to explore Sensitivity of Building Materials to Fungal Growth: Case of biobased Earth Materials. In: Jonkers, H.; Bertron, A. (Hrsg.): Final Conference of RILEM TC 253-MCI – Microorganisms-Cementitious materials interactions: Tolouse, France, 25-26 June 2018, RILEM proceedings PRO 123. RILEM publications S.A.R.L, Bagneux, 2018, S. 367-375.
  • [5] DIN ISO 16000-17:2010-06 Innenraumluftverunreinigungen- Teil 17: Nachweis und Zählung von Schimmelpilzen - Kultivierungsverfahren (ISO 16000-17:2008). Ausgabe Juni 2010.
  • [6] ISO 16000 - 19:2012: Innenraumluftverunreinigungen -Teil 19: Probenahmestrategien für Schimmelpilze (ISO 16000 -19:2012). Deutsche Norm, Ausgabe Dezember 2012.
  • [7] DIN ISO 16000-21: Innenraumluftverunreinigungen - Teil 21: Nachweis und Zählung von Schimmelpilzen - Probenahme von Materialien (ISO 16000-21:2013). Deutsche Norm, Ausgabe Mai 2014.
  • [8] Fischer, G.: Ergebnisse des UFO-Plan-Projektes zur Hintergrundbelastung von Schimmelpilzen und Bakterien in Baumaterialien (erweiterter Abstract). In: Berufsverband Deutscher Baubiologen VDB e.V. (Hrsg.): 17. Pilztagung des VDB - Prävention. Gemeinsame Fachtagung für biogene Schadstoffe. AnBUS e.V., Bonn, 2013, S. 113-120.
  • [9] Innenraumlufthygienekommission des Umweltbundesamtes: Leitfaden zur Vorbeugung, Erfassung und Sanierung von Schimmelbefall in Gebäuden, Dessau-Roßlau Ausgabe November 2017.
  • [10] 4-11: Messung des Wassergehalts bzw. der Feuchte von mineralischen Baustoffen, 03.2016/D. WTA Merkblatt, Ausgabe März 2016.
  • [11] Sedlbauer, K.: ⁠Vorhersage⁠ von Schimmelpilzbildung auf und in Bauteilen. Stuttgart, Universität Stuttgart, Dissertation, 2001.
  • [12] Samson, R.A.; Houbraken, J. (eds.): Food and indoor fungi. Centraalbureau voor Schimmelcultures, CBS laboratory manual series no. 2, CBS-KNAW Fungal Biodiversity Centre, Utrecht, 2010.

 

Teilen:
Artikel:
Drucken
Schlagworte:
 Baustoffkenngröße  Leitungswasserschäden  Schimmelbildung  Lehmbaustoffe  Hintergrundkonzentration