Das Schattenbanksystem: eine Gefahr für Sustainable Finance?

Der Finanzsektor insgesamt und seine Finanzinstitute im Einzelnen unterliegen einem Regulierungs-Regime. Es existiert jedoch neben dem regulierten auch ein weniger regulierter Finanzmarkt, der deswegen häufig auch „Schattenfinanzmarkt“ genannt wird. Aufgrund der Größe des Marktes kann er einen großen Einfluss auf die nachhaltige beziehungsweise nicht nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft haben.

Inhaltsverzeichnis

Konkret sind mit dem Schattenfinanzmarkt häufig Akteure gemeint, die wie Finanzakteure Geschäfte betreiben, sich aber nicht an die gleichen Regularien halten (müssen) und/oder einer anderen Besteuerung und statistischen Pflichten ausgesetzt sind. Schattenbanken können Finanzinstitutionen sein, wie Hedgefonds, Private-Equity-Firmen, Vermögensverwalter, Geldmarktfonds oder Investment- und Pensionsfonds. Sie übernehmen bankähnliche Funktionen, indem sie Kredite vergeben, Gelder anlegen und/oder in den Finanzmarkt investieren – ohne jedoch eine Banklizenz zu besitzen.

Dabei agiert der Sektor nicht illegal. Vielmehr erfüllt er wichtige Funktionen im Finanzsystem, wie die zusätzliche und bankunabhängige Bereitstellung von Kapital. Zudem ist der regulierte Finanzsektor eng mit Schattenbanken verflochten, zum Beispiel indem Geschäftsbanken von Zweckgesellschaften ausgegebene Schuldverschreibungen kaufen, Kredite an diese vergeben oder sich selbst über Geldmarktfonds und institutionelle Anleger refinanzieren.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die geschätzte Größe des Sektors. Laut verschiedener Expert*innen soll der Schattenfinanzmarkt rund ein Drittel des gesamten Finanzsektors ausmachen. Eine genaue Bestimmung ist schwierig, weil es sich um einen tendenziell unregulierten Markt handelt.

 

Was könnten die Konsequenzen für Sustainable Finance sein?

Die Eigenschaften des Schattenfinanzsystems haben auch Berührungspunkte zum Bereich Sustainable Finance: Insbesondere stellt sich hier die Frage, wie effektiv eine Regulierungsmaßnahme sein kann, wenn die Regulierung von Sustainable Finance das Schattenbankensystem ausklammert. Während regulierte Finanzmarkt-Akteure beispielsweise die Aktien und Anleihen in fossilen Brennstoffen in ihren Portfolios offenlegen und deren Halten rechtfertigen müssen, gilt dies für viele Akteure auf dem Schattenfinanzmarkt nicht.
Aufgrund der Regulierung und des öffentlichen Drucks kann es sogar sein, dass ein beaufsichtigtes Unternehmen sich gezwungen sieht, als kritisch betrachtete Anteile verkaufen zu müssen. Diese können von unregulierten Akteuren durchaus erworben werden, ohne dass Nachteile für die Schattenbank entstehen. Sie kann die weniger nachhaltigen Unternehmen und Projekte zu geringeren Preisen erwerben und von den wenig nachhaltigen Geschäftsmodellen profitieren, wohingegen der regulierte Finanzsektor das Nachsehen hat. Die Geschäftsmodelle werden dementsprechend weiterfinanziert, sodass auch das ⁠Klima⁠ und die Umwelt nicht geschützt werden.

Schattenbanken versuchen, kurzfristige Gewinne zu realisieren und sind nicht primär an langfristigen Wertentwicklungen interessiert. Insgesamt ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen, bei diesen Akteuren oft größer als bei regulierten Akteuren. Anreize der Aufsicht, beispielsweise bei der Risikobetrachtung auch Umwelt- und Klimarisiken zu beachten, greifen für den Schattenbankbereich nicht.

 

Welche Konsequenzen hat dies in der Realität?

Private-Equity-Firmen (PE) kauften zwischen 2020 und 2022 in 500 Transaktionen Öl-, Gas- und Kohleanlagen im Wert von 60 Milliarden US-Dollar. Einige davon waren milliardenschwere Deals, bei denen Akteure wie Blackstone, Carlyle und KKR teilweise sehr große Ölfelder, Kohlekraftwerke oder Gasnetze von Energiekonzernen, Bergbauunternehmen und Versorgungsbetrieben aufkauften.

Die größte Verlagerung ist die Übernahme von "Midstream"-Anlagen (vor allem Pipelines) durch private Infrastrukturfonds. Da ihre Einnahmen von großen Kunden – Energiekonzernen und Versorgungsunternehmen – erzielt werden, gelten sie als sehr sicher und bieten zudem attraktive Renditen. Im Jahr 2021 erwarb Brookfield den gesamten Bestand an nordamerikanischen Öl- und Gaskrediten der niederländischen Bank ABN AMRO, die durch das Divestment Gesellschaft und Politik von ihrer Nachhaltigkeitspolitik überzeugen wollte.

Eine weitere Anlageklasse stellen staatliche Unternehmen und Staatsfonds dar. Saudi Aramco, die nationale Ölgesellschaft Saudi-Arabiens und größter Ölproduzent der Welt, erwarb etwa eine 30-prozentige Beteiligung an einer Raffinerie in Polen, und Somoil, ein angolanischer Konzern, kaufte Offshore-Ölanlagen von der französischen Total. Im Jahr 2020 zahlte Singapurs GIC zu 10 Milliarden US-Dollar für eine Beteiligung an einer Gaspipeline.

Es scheint somit einen Trend zu geben, der das intendierte Ziel der Verknappung der für klimaschädliche Aktivitäten zur Verfügung stehenden Mittel, unterläuft.

 

Doch es gibt auch Gegenargumente

Im Gegensatz geht zum Beispiel der stellvertretende Gouverneur der Bank of England, Dave Ramsden, dahingehend optimistisch, davon aus, dass die Verschärfung der Klimavorschriften für Banken nicht zu einer Zunahme der Finanzströme in nicht regulierte Institute führen wird. Die Regulierungsbehörden seien sich nach seiner Einschätzung der Risiken bewusst, mit denen der Finanzsektor außerhalb des Bankensektors konfrontiert sei, und konzentrierten sich darauf, sicherzustellen, dass dieser eine positive Rolle bei der Unterstützung des kohlenstoffarmen Übergangs spiele. Die zunehmende Regulierung klimabezogener Finanzrisiken, etwa durch die obligatorische Offenlegung und Klimastresstests, habe einige Bedenken hinsichtlich der Anreize für kohlenstoffintensive Kreditnehmer aufkommen lassen, Kredite außerhalb des regulären Bankensystems zu suchen. Deshalb meint Ramsden, er sei "bedingt optimistisch", was die potenziellen Fallstricke der strengeren Klimaregeln angehe, und fügt hinzu, dass sich die Aufsichts- und Regulierungsbehörden derzeit sehr stark auf die Nichtbankenfinanzierung konzentrierten: "Wir müssen sicherstellen, dass dieser unglaublich wichtige Finanzbereich sicher ist und seine Rolle bei der Bereitstellung von Finanzmitteln für die wichtigsten makroökonomischen Ziele – kurz-, mittel- und langfristig – spielen kann, von denen die Klimafinanzierung absolut zentral ist", so Ramsden.

Entsprechend sind immer mehr Forderungen zu vernehmen, die Klimavorgaben auf die Regulierung von Schattenbankkrediten und Derivatemärkten auszuweiten. Ein Bericht, der vom Center for American Progress veröffentlicht wurde, forderte die Regulierungsbehörden auf, aufsichtsrechtliche Instrumente einzusetzen, um den Banken die Vermittlung ihrer Klimarisiken in den Schattenbankensektor zu erschweren. Die Autoren wiesen darauf hin, dass der Schattenbanksektor in hohem Maße von der finanziellen Unterstützung durch das reguläre Bankensystem abhängig ist.

Daneben hat das European Money and Finance Forum SUERF konkrete Vorschläge gemacht, wie das Schattenbanksystem in Bezug auf Sustainable Finance reguliert werden kann. Dieser konzentriert sich vor allem auf die Klimaeffekte des Schattenbankensystems.

Die Margen und Abschläge für Anleihen werden derzeit unabhängig von den Umweltauswirkungen der zugrunde liegenden Sicherheiten festgelegt. Dadurch werden Kredite für Aktivitäten mit schädlichen Umweltauswirkungen mobilisiert. Um den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu unterstützen, könnten, nach Einschätzung des SUERF, die Margen und Sicherheitsabschläge auf der Grundlage der Umweltfreundlichkeit der als Sicherheiten eingesetzten Vermögenswerte ausgerichtet werden.

Die Gestaltung und Umsetzung von klimafreundlichen Haircuts, also Abschlägen für die Sicherheiten, die für einen Kredit benötigt werden, und Margen könnte sich auf den Rahmen stützen, den der Financial Stability Board (FSB) ursprünglich vorgesehen hat. Dieser könnte für alle Wertpapierfinanzierungsgeschäfte gelten, unabhängig davon, ob es sich um Banken, Schattenbanken oder eine Kombination handelt. Auf diese Weise wird der Spielraum für Banken, klimabedingte regulatorische Arbitrage zu betreiben, laut SUERF erheblich verringert.

Lediglich die Sicherheitsabschläge anzupassen, würde jedoch nach Einschätzung von SUERF nicht ausreichen. Daher wäre ein weiterer Vorschlag, die Verwendung von nicht nachhaltigen Wertpapieren als Sicherheiten in Derivatetransaktionen zu verbieten. So würden die Handlungsfelder, in denen diese nicht nachhaltigen und damit nicht zukunftsfähigen Wertpapiere eingeschränkt. Hierdurch könnten Schlupflöcher, in denen sich nicht nachhaltige lohnen, geschlossen werden. Solche Verbote müssten schrittweise eingeführt werden, ähnlich wie in der Bankenregulierung, so dass die Anleger Zeit haben, sich darauf einzustellen.

 

Fazit

Die Schattenbanken können folglich verschiedene Rolle einnehmen – zwischen einer Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz und Klimazerstörung liegen die Pole. Dabei darf nicht vergessen werden, dass allein durch die Hetereogenität der Akteure des Schattenfinanzsystems eine einheitliche Einschätzung und somit auch Regulierung aller Akteure kaum möglich und sinnvoll ist. Viele institutionelle Akteure beispielsweise unterliegen auch zahlreichen Regulierungen und haben ein langfristiges Anlageinteresse, nicht zuletzt aufgrund ihrer Kundenbasis, die selbst Nachhaltigkeitsaspekte immer stärker betonen. Dennoch sollten mögliche Interessenkonflikte, die durch unterschiedliche Anreize für hoch regulierte und weniger regulierte Institute hervorgerufen werden können, entsprechend wachsam seitens der Aufsicht, der Regulierer, Gesetzgeber, NGOs und der Wissenschaft beobachtet werden und auf die fehlenden Beiträge zu den gesamtgesellschaftlichen Umweltzielen hingewiesen werden.

Teilen:
Artikel:
Drucken
Schlagworte:
 Sustainable Finance  Finanzmarktregulierung