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Kippt der Golfstrom und kommt es daher in Europa zu einer Abkühlung?

Der Golfstrom ist eine Strömung im Atlantischen Ozean mit warmen Wassermassen vor der nordamerikanischen Küste. Im Nordatlantik, also in Richtung Europa, wird der Golfstrom zum Nordatlantikstrom. Der Golfstrom selbst wird hauptsächlich von Winden angetrieben und droht nicht zu versiegen. Er ist aber Teil des globalen ozeanischen Strömungssystems.

Der Nordatlantikstrom hingegen, der wiederum Teil der Atlantischen Umwälzzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) ist, wird von Dichteunterschieden der Wassermassen angetrieben: Das relativ warme Wasser des Nordatlantikstroms fließt an der Oberfläche nach Norden, gelangt in kühlere Umgebung, verdunstet teilweise und kühlt sich langsam ab. Durch die ⁠Verdunstung⁠ steigt der Salzgehalt des Oberflächenwassers. Wasser ist umso schwerer, je salzhaltiger und / oder je kühler es ist. Im Nordmeer sinkt das kalte und sehr salzhaltige Wasser wegen seiner höheren Dichte in die Tiefsee ab und fließt dort in Richtung Süden. Aus den Tropen wiederum strömt warmes Oberflächenwasser in nördliche Richtung nach, so dass eine Zirkulation entsteht. Diese Zirkulation wird auch Thermohaline Zirkulation genannt (griechisch: thermos für Wärme und halas für Salz). Der Wärmetransport des Nordatlantikstroms nach Norden sorgt dafür, dass in West- und Nordeuropa vergleichsweise mildes ⁠Klima⁠ herrscht, milder als in anderen Regionen gleicher geografischer Breite.

Durch die Klimaerwärmung sind folgende Prozesse möglich: Das Oberflächenwasser im Nordatlantik kühlt sich auf seinem Weg in Richtung Norden nicht mehr so stark ab, die Niederschläge nehmen zu und durch Schmelzen von Eismassen des Grönländischen Eispanzers sowie weiterer Gletscher strömt Süßwasser in großer Menge in den Nordatlantik. Die Folge ist, dass das salzhaltige Meerwasser verdünnt und erwärmt wird. Dadurch könnte das Absinken der kalten, schwereren Wassermassen im Nordpolarmeer verringert und die thermohaline Zirkulation abgeschwächt oder sogar völlig zum Erliegen gebracht werden.

Ein Zusammenbruch der Atlantischen Ozeanzirkulation würde zu starken Änderungen in den Meeresoberflächentemperaturen führen, die wiederum die ⁠Atmosphäre⁠ sowie die globale Verteilung des Meereises und der Niederschläge beeinflussen. Die Durchschnittstemperaturen auf der Nordhalbkugel, insbesondere in Europa, würden deutlich sinken. So könnte die Durchschnittstemperatur in Nordwesteuropa um 1°C pro Jahrzehnt abnehmen, in Nordeuropa sogar um bis zu 3,5°C pro Jahrzehnt und nach einem Jahrhundert der Abkühlung auf einem Niveau von 5°C bis 15°C unter dem heutigen Niveau verbleiben (Van Westen et al., 2024).

Die AMOC wird schon seit längerer Zeit als ein zentrales Kippelement des Erd-Klimasystems angesehen (siehe z.B. „Kipppunkte und kaskadische Kippdynamiken im Klimasystem“ | Umweltbundesamt, Kornhuber et al., 2024). Zur Untersuchung des Risikos einer Abschwächung oder des Abbruchs der thermohalinen Zirkulation im Nordatlantik setzen die Wissenschaftler Klimamodelle ein. Aus den neuesten Modellsimulationen und Messungen ergeben sich Anzeichen für eine Abschwächung oder gar ein Versiegen der Strömung (siehe z.B.: “Stärkere Belege für Abschwächung des Golfstromsystems“, Caesar 2018 und „Meeresströmung im Atlantik nähert sich möglicherweise kritischer Schwelle“, Boers 2021). Allerdings müssen die Modellergebnisse vorsichtig interpretiert werden, denn unter anderem viele Prozesse der internen Eisdynamik, wie beispielsweise der von Gletscherzungen (Prozesse, die zur Bewegung / zum Gleiten von Gletscherzungen führen) oder auch der Süßwasserzufluss im Südatlantik können von den Wissenschaftlerinnen*Wissenschaftlern noch nicht zuverlässig genug beschrieben werden und bedürfen noch der weiteren Erforschung. Neue Forschungsergebnisse eines niederländischen Forschungsteams (Van Westen et al. 2024), die sich auf Messdaten und umfangreichere Modellierungen stützen, legen nahe, dass sich die Atlantische Ozeanzirkulation einem Kipppunkt nähert. In der Modellrechnung wurde ein bestimmter, physikalisch messbarer ⁠Indikator⁠ identifiziert, der sich als Frühwarn-Parameter für die Annäherung an den Kipppunkt eignet. Aktuelle Beobachtungsdaten (bzw. Messdaten) legen zudem nahe, dass sich die AMOC diesem Kipppunkt bereits nähert. Ungeklärt bleibt jedoch die Frage, wie weit dieser Kipppunkt noch entfernt ist.

Siehe dazu auch hier: Neue Studie legt nahe, dass die atlantische Umwälzzirkulation AMOC „auf Kippkurs ist“ » KlimaLounge » SciLogs - Wissenschaftsblogs (spektrum.de)

 

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Schlagworte:
 Klimawandel

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