Europäisches Genehmigungsverfahren für Wirkstoffe

Die Grafik beschreibt das komplizierte Genehmigungsverfahren für Wirkstoffe, wie im Text beschrieben.zum Vergrößern anklicken
Europäisches Genehmigungsverfahren für Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln
Quelle: Dominique Türkowsky / UBA

Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln erfolgt in zwei Stufen. Zuerst müssen die Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel auf EU-Ebene genehmigt werden. Danach entscheiden die einzelnen Mitgliedsstaaten über eine nationale Zulassung der Pflanzenschutzmittel mit den genehmigten Wirkstoffen und eventuellen Beistoffen. Erst danach darf ein Pflanzenschutzmittel vermarktet und verwendet werden.

Inhaltsverzeichnis

Ein Pflanzenschutzmittel (zum Beispiel Roundup) ist meist ein Stoffgemisch, das einen oder mehrere Wirkstoffe (zum Beispiel Glyphosat) enthält. Aber auch Beistoffe werden hinzugefügt. Beistoffe sollen die Eigenschaften des Pflanzenschutzmittels verbessern (zum Beispiel Wasserlöslichkeit, Lagerstabilität). In diesem Artikel wird das europäische Genehmigungsverfahren für die Wirkstoffe erläutert. Im nächsten Artikel wird die nationale Zulassung der Pflanzenschutzmittel erklärt.

 

So funktioniert das Genehmigungsverfahren für Wirkstoffe

Gesetzliche Grundlage für dieses Verfahren ist die Pflanzenschutzmittelverordnung (EG) Nr. 1107/2009. Diese legt fest, nach welchen Kriterien ein Wirkstoff genehmigungsfähig ist. Demnach dürfen keine schädlichen Effekte für die Gesundheit von Mensch und Tier und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt auftreten.

Die Europäische Kommission nimmt die Anträge der Firmen an und legt fest, welcher Mitgliedstaat den Wirkstoff bewerten soll. Das ist der sogenannte „Bericht erstattende Mitgliedstaat“ (auch „Rapporteur Member State", RMS). Dieser Mitgliedstaat überprüft alle vom Antragsteller eingereichten Studien. Die Verordnung (EU) Nr. 283/2013 schreibt vor, welche Studien eingereicht werden müssen. Der Mitgliedstaat bewertet die Wirksamkeit des Stoffes sowie das Risiko für Menschen, Tiere und Umwelt.

Dabei wird zunächst untersucht, wie schnell und zu welchen Metaboliten ein Wirkstoff abgebaut wird, und welche physikalisch-chemischen Eigenschaften dieser hat. Anhand von Modellen wird dann vorausgesagt, welcher Anteil des Stoffes nach der Anwendung in Grundwasser, Oberflächengewässer, Boden und Luft zu finden ist. Danach wird die Wirkung auf Tiere und Pflanzen getestet. Dafür werden Versuche an zahlreichen Arten aus den Gruppen der Vögel, Säugetiere, Insekten, Spinnentiere, Regenwürmer, Fische, Wasserflöhe, Algen sowie der terrestrischen und aquatischen Pflanzen durchgeführt. In der Kombination aller Daten lässt sich vorhersagen, ob zum Beispiel durch eine konkrete Anwendung des jeweiligen Wirkstoffes die Einträge in Gewässern so hoch sind, dass Gewässerorganismen wie Fische oder Wasserpflanzen geschädigt werden. Sind die zu erwartenden Effekte auf die Umwelt zu groß, kann der Wirkstoff nicht genehmigt werden.

Der Mitgliedstaat fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen in einem Bewertungsbericht zusammen. Die anderen EU-Staaten haben die Möglichkeit, diesen Bericht zu kommentieren. Es gibt mehrere Überarbeitungs- und Kommentierungsphasen. Am Ende kommen die Expert*innen aus den beteiligten Staaten zusammen, besprechen die strittigen Punkte und einigen sich auf eine gemeinsame wissenschaftsbasierte Sichtweise. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA,) koordiniert das gesamte Verfahren. Sie erstellt am Ende eine Zusammenfassung des Bewertungsberichts, die sogenannte „EFSA Conclusion“, und legt sie der Europäischen Kommission (KOM) vor.

Die Europäische Kommission erstellt daraufhin einen Entscheidungsvorschlag. Dieser enthält eine Empfehlung für oder gegen die Genehmigung, etwaige besondere Risiken und verbleibende Datenlücken. Solche Datenlücken, beispielsweise fehlende Studien zu bestimmten Organismengruppen, sind innerhalb von zwei Jahren nach einer Genehmigung zu schließen.

Die europäische Ratsarbeitsgruppe für Landwirtschaft und Ernährung (Standing Committee on Plant, Animal, Food and Feed, SCoPAFF), in welcher die Agrarminister*innen der EU-Staaten vertreten sind, kann den Vorschlag der KOM mit einer qualifizierten Mehrheit annehmen. Stimmen KOM und SCoPAFF nicht überein, muss der Europäische Rat (ER) mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Fasst auch der Rat keinen Beschluss, liegt die Entscheidung schließlich bei der Kommission.

Nach einem erfolgreichen Genehmigungsverfahren wird der Wirkstoff in eine europäische Positivliste eingetragen. Die EU-Mitgliedsstaaten dürfen nur Pflanzenschutzmittel zulassen, deren Wirkstoffe in dieser Liste stehen. Bestimmte Wirkstoffe können sowohl in Pflanzenschutzmitteln als auch in Bioziden und Tierarzneimitteln verwendet werden. Derzeit sind in der EU 453 Wirkstoffe genehmigt (Stand Juli 2024).

Generell gilt die Genehmigung eines Wirkstoffes für 7 bis 15 Jahre. Danach muss ein Antrag auf erneute Genehmigung gestellt werden. Es wird dann geprüft, ob der Wirkstoff nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik weiterhin genehmigt werden kann. In der Praxis kommt es jedoch immer wieder zu Verzögerungen in den Wiedergenehmigungsverfahren, so dass einige Wirkstoffe schon 20 Jahre oder länger ohne erneute Prüfung auf dem Markt sind. Fehlen zum Beispiel Daten, oder sind sich die Staaten beim Risikomanagement nicht einig, kann die Europäische Kommission die Genehmigung immer wieder um ein oder zwei Jahre verlängern, damit die Genehmigung nicht zwischenzeitlich ausläuft. Diese Verzögerungen sind problematisch, da die Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel auf die Daten der Wirkstoffgenehmigungen zurückgreifen. Die Zulassungen vieler Pflanzenschutzmittel basieren somit auf einer veralteten Datenbasis, wie es zurzeit zum Beispiel bei Flufenacet oder S-Metolachlor der Fall ist.

 

So sind deutsche Behörden am Verfahren beteiligt

In Deutschland sind das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das Julius Kühn-Institut (JKI), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das ⁠UBA⁠ in das Verfahren involviert. Das BVL ist für die Koordination des Gesamtprozesses zuständig. Außerdem prüft es die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Wirkstoffs, das Herstellungsverfahren und die Analytik. Das JKI prüft die Wirksamkeit des Stoffes und unerwünschte Auswirkungen auf Kulturpflanzen, Nützlinge und Honigbienen. Das BfR beurteilt die Risiken auf die menschliche Gesundheit. Das UBA ist für die Bewertung der Risiken für die Umwelt und das Grundwasser zuständig. Die Behörden prüfen die Qualität der eingereichten Studien und beurteilen, ob der Wirkstoff aus ihrer Sicht genehmigungsfähig ist.

 

Grenzen des Genehmigungsverfahrens

Trotz der komplexen Genehmigungsverfahren ist die Umwelt nicht ausreichend vor den Folgen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln geschützt. Im gesamten Zulassungssystem gibt es einigen Verbesserungsbedarf. Dies führt unter anderem dazu, dass die Artenvielfalt weiter zurückgeht und weiterhin Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in der Umwelt gefunden werden.

Teilen:
Artikel:
Drucken
Schlagworte:
 Genehmigungsverfahren  PSM-Wirkstoffe