Zonales Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel

Die Grafik erklärt das komplizierte Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel, wie im Text beschrieben.zum Vergrößern anklicken
Zonales Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel
Quelle: Dominique Türkowsky / UBA

Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln erfolgt in zwei Stufen. Zuerst müssen die Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel auf EU-Ebene genehmigt werden. Danach entscheiden die einzelnen Mitgliedsstaaten über eine nationale Zulassung der Pflanzenschutzmittel mit den genehmigten Wirkstoffen und eventuellen Beistoffen. Erst danach darf ein Pflanzenschutzmittel vermarktet und verwendet werden.

Inhaltsverzeichnis

Hier wurde das europäische Genehmigungsverfahren für die Wirkstoffe erläutert. In diesem Artikel wird die nationale Zulassung der ⁠Pflanzenschutzmittel⁠ erklärt.

 

So funktioniert das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel

Gesetzliche Grundlage für dieses Verfahren ist die Pflanzenschutzmittelverordnung (EG) Nr. 1107/2009. Welche Daten für das Zulassungsverfahren vorzulegen sind ist in der Verordnung (EU) Nr. 283/2013 und Nr. 284/2013 festgelegt. Für jede ganz konkrete Anwendung, die sogenannte Indikation, muss die Zulassungsfähigkeit eines Pflanzenschutzmittels separat geprüft werden. In einer solchen „Indikationszulassung“ werden Aufwandmenge, Schaderreger, Kultur und Anwendungszeitraum genau festgelegt.

Die Herstellerfirmen können sich einen EU-Mitgliedstaat aussuchen und reichen dort ihren Antrag bei den zuständigen Behörden ein. Um zwischen den Staaten eine Arbeitsteilung zu gewährleisten, erfolgt die Zulassung seit 2011 im sogenannten „zonalen Verfahren“. Dafür wurden die EU-Mitgliedsstaaten in drei Zonen eingeteilt: Süd, Zentral und Nord. Deutschland gehört zur zentralen Zone.

Wenn die Herstellerfirmen eine Zulassung in mehreren EU-Ländern benötigen, können sie einen Staat pro Zone auswählen, der das Mittel dann federführend für die gesamte Zone auf seine Wirksamkeit und seine Risiken für Umwelt und Gesundheit prüft. Das Ergebnis kann die Firma in weiteren Staaten derselben Zone einreichen. Diese müssen das Mittel dann ebenfalls zulassen, wenn keine landesspezifischen Gründe – wie zum Beispiel ökologische, klimatische oder landwirtschaftliche Besonderheiten – dagegensprechen. Sind bestimmte Voraussetzungen erfüllt, können die Mitgliedstaaten im Rahmen des Zulassungsverfahrens nationale Anwendungsbestimmungen festschreiben. Das kann zum Beispiel die Einhaltung von Mindestabständen zu angrenzenden Gewässern sein.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stellt auf seiner Homepage eine Datenbank zu allen in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmitteln bereit. 2023 waren in Deutschland 1.047 ⁠Pflanzenschutzmittel mit 278 verschiedenen Wirkstoffen zugelassen

Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist nur solange gültig, wie die Genehmigungen der im Produkt enthaltenen Wirkstoffe gültig sind. Nach Abschluss der Wiedergenehmigungen der Wirkstoffe müssen auch die Zulassungen der ⁠Pflanzenschutzmittel⁠ neu geprüft werden.

 

So arbeiten deutsche Behörden im Verfahren zusammen

In Deutschland sind das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das Julius Kühn-Institut (JKI), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das ⁠UBA⁠ in das Verfahren involviert. Das BVL ist für die Koordination des Gesamtprozesses zuständig. Außerdem prüft es die chemisch-physikalischen Eigenschaften der Produkte, das Herstellungsverfahren und die Analytik. Das JKI prüft die Wirksamkeit des Stoffes und unerwünschte Auswirkungen auf Kulturpflanzen, Nützlinge und Honigbienen. Das BfR beurteilt die Risiken des Pflanzenschutzmittels für die menschliche Gesundheit. Das bezieht sich sowohl auf die Verbraucher*innen als auch auf die Anwender*innen und andere Menschen, die in Kontakt mit Sprühnebeln und behandelten Flächen kommen können. Das BfR definiert zudem die maximal zulässige Konzentration von Pflanzenschutzmittelrückständen auf dem Erntegut.

Im Umweltbundesamt (UBA) werden die Risiken der Pflanzenschutzmittel für den Naturhaushalt und für das Grundwasser bewertet und Vorschläge für Risikominderungsmaßnahmen erarbeitet. Das UBA wurde erstmals 1986, als das deutsche Pflanzenschutzrecht überarbeitet wurde, in das Zulassungsverfahren einbezogen. Mit dieser Überarbeitung wurde unter anderem das Ziel verfolgt, „durch die Abwendung von Gefahren für den Naturhaushalt die ökologischen Risiken des Pflanzenschutzes zu vermindern“. Das Land Nordrhein-Westfalen hatte die Einbindung des UBA in seinem damaligen Gesetzesantrag wie folgt begründet: „Die Einschaltung des Umweltbundesamtes in das Zulassungsverfahren soll sicherstellen, dass die Umweltverträglichkeit eines Pflanzenschutzbehandlungsmittels intensiver als bisher geprüft wird“. Dem UBA wurde mit der Überarbeitung des Pflanzenschutzrechts nicht nur die Aufgabe der Umweltrisikobewertung zugesprochen, sondern auch ein Vetorecht bei der Zulassungsentscheidung. Diese Funktion des UBA im Zulassungsverfahren nennt sich Einvernehmen und besteht bis heute. Demnach ist das Einverständnis des UBA zwingend nötig – anders als bei den Benehmensbehörden BfR und JKI, deren Einverständnis nicht zwingend vorliegen muss.

Sind die Umweltrisiken zu hoch, kann das UBA mit dem Vetorecht das Einverständnis verweigern. In der Praxis macht das UBA davon jedoch nur selten Gebrauch. Denn in den meisten Fällen ist es möglich, die Umweltrisiken der Pflanzenschutzmittel durch bestimmte Maßnahmen bei der Anwendung so weit zu senken, dass die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt werden. So berechnet das UBA in jedem Zulassungsverfahren beispielsweise, ob mit Hilfe von Mindestabständen zu Gewässern oder abdriftmindernder Technik das Risiko auf ein annehmbares Maß gesenkt werden kann. Solche Risikominderungsmaßnahmen werden dann vom BVL mit der Zulassung festgeschrieben. Im Ergebnis gibt das UBA in ungefähr neun von zehn Zulassungsverfahren seine Zustimmung.

 

Ausnahmen im Zulassungsverfahren

In zwei speziellen Fällen wird das ⁠UBA⁠ nicht am Zulassungsverfahren beteiligt:

Notfallzulassungen (nach § 29 Pflanzenschutzgesetz)

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) kann ein nicht regulär zugelassenes ⁠Pflanzenschutzmittel⁠ für maximal 120 Tage zulassen, wenn eine Gefahr für die Gesundheit und den Schutz von Kulturpflanzen nicht anders abzuwenden ist. Solche Notfallzulassungen werden für lokale Besonderheiten oder akute, ungewöhnliche und sehr problematische Schädlingsbefälle ausgesprochen. Doch in der Praxis kann die Entscheidung gegen eine Zulassung, die in einem regulären Zulassungsverfahren getroffen wurde, durch eine Notfallzulassung überschrieben werden. Beispielsweise führte 2021 eine Notfallzulassung dazu, dass das eigentlich verbotene, bienengefährdende Neonicotinoid Thiamethoxam auf einer Fläche von ca. 127.000 Hektar ausgebracht werden durfte. 2022 wurde eine Notfallzulassung für ein anderes problematisches Neonicotinoid, Acetamiprid, für den Rübenanbau auf 10.000 Hektar ausgesprochen.

Geringfügige Verwendungen (nach Art. 51 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 bzw. § 22 (2) Pflanzenschutzgesetz)

Bereits bestehende Zulassungen können ohne Beteiligung des UBA auf geringfügige Verwendungen erweitert werden. Das sind Anwendungen an Pflanzen, die nur in geringem Umfang angebaut werden, oder Anwendungen, die gegen Schadorganismen wirken, die nur in kleinen Gebieten Schäden verursachen. Einen Antrag auf geringfügige Verwendung können Pflanzenschutzmittelhersteller, aber auch Anbauverbände oder die Bundesländer beim BVL stellen. Beispielsweise wurde der Wirkstoff Fluazifop-P als geringfügige Verwendung für alle Mitgliedsbetriebe des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg für Sommergerste, Hafer und Sommerweizen zugelassen. Fluazifop-P bildet das persistente Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA), das weiträumig in Gewässern und im Trinkwasser gefunden wird und nicht mehr aus dem Wasser entfent werden kann.

 

Grenzen des Zulassungsverfahrens

Trotz des komplexen Zulassungsverfahrens ist die Umwelt nicht ausreichend vor den Folgen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln geschützt. Im gesamten Zulassungssystem gibt es einigen Verbesserungsbedarf. Dies führt unter anderem dazu, dass die Artenvielfalt weiter zurückgeht und weiterhin Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in der Umwelt gefunden werden.

Das zonale Zulassungsverfahren birgt die Gefahr, dass Schutzstandards immer weiter abgesenkt werden. Bei der Aufteilung der EU-Staaten in Zonen wird unterstellt, dass Länder derselben Zone sehr ähnliche klimatische, ökologische und landwirtschaftliche Bedingungen haben. Dies trifft nur bedingt zu, insbesondere für die zentrale Zone, zu der auch Deutschland gehört. Diese ist durch die EU-Osterweiterung stark gewachsen, nicht nur räumlich, sondern auch bezüglich ihrer geographischen Eigenschaften.

Der Rahmen dafür, dass ein Mitgliedsstaat aufgrund nationaler Besonderheiten von der Bewertung eines anderen Mitgliedsstaates derselben Zone abweichen kann, wird in Deutschland in Gerichtsurteilen sehr eng ausgelegt. Die Anforderungen an den Nachweis der nationalen Besonderheiten sind sehr hoch, ebenso wie der Nachweis, dass diese Besonderheiten in Verbindung mit den Eigenschaften des Pflanzenschutzmittels zu negativen Effekten für die Umwelt führen können.

Auch bei fehlerhaften Bewertungen kann Deutschland nicht von der Zulassungsentscheidung des erstbewertenden Mitgliedstaates abweichen. Besonders problematisch dabei ist, dass die Her­stellerfirmen selbst auswählen können, welcher Staat die Bewertung federfüh­rend durchführen soll. So können sie ihre Zulassungsanträge gezielt in EU-Staaten einreichen, deren Schutzstandard niedriger ist als in Deutschland. Infolge dessen können deutsche Be­hörden derzeit bei über 90 Prozent aller Zulassungen nicht mehr souverän entscheiden. Weil die anderen EU-Staaten an die Bewertung des federfüh­renden Staates gebunden sind, und ein Streitschlichtungsverfahren bei fachlicher Uneinigkeit im EU-Pflanzenschutzrecht nicht vorgesehen ist, setzt sich in Europa nach und nach ein niedrigerer Schutzstandard durch.

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 Pflanzenschutzmittel-Zulassungsverfahren  Pestizide  zonales Verfahren  Behördliches Einvernehmen  Benehmen