Hochwasserrisiken umfassend erkennen und handhaben

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Für den Umgang mit Hochwasser bedarf es eines umfassenden und flussgebietsweiten Managements
Quelle: Jörg Rechenberg / UBA

Die Bewältigung der Gefahren und Risiken durch Hochwasser schließt den vorsorgenden Bereich, die Vorbereitung auf ein Hochwasser, die Gefahrenabwehr während eines Ereignisses und die Nachbereitung inklusive des Wiederaufbaus ein. Die einheitliche Anwendung des Hochwasserrisikomanagements wird in der Europäischen Union seit dem Jahr 2007 durch eine Richtlinie gewährleistet.

Inhaltsverzeichnis

 

Hochwasserrisikomanagement

Die immer wieder auftretenden enormen Schäden durch Hochwasser verdeutlichen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig mit vorsorgenden und langfristig wirkenden Maßnahmen des Hochwasserschutzes auseinander zu setzen. Da ein vollständiger Schutz vor Hochwasser weder technisch machbar, noch wirtschaftlich sinnvoll ist (Restrisiko), bedarf es für den Umgang mit Hochwasser und des durch Hochwasser entstehenden Risikos vielmehr eines umfassenden und flussgebietsweiten Managements. Es schließt den vorsorgenden Bereich (zum Beispiel Flächenvorsorge, Festsetzung von Überschwemmungsgebieten, an Hochwasser angepasstes Bauen, technische Maßnahmen, Verhaltensvorsorge), die Vorbereitung auf ein Hochwasser (Hochwasservorhersage, Warnsysteme), die Bewältigung des Ereignisses (Gefahrenabwehr) und die Nachbereitung inklusive des Wiederaufbaus ein (Abbildung 1). Damit dieses umfassende Risikomanagement funktioniert, ist es besonders wichtig, dass die Wasserwirtschaft, die Wettervorhersagedienste, die Regionalplanung, der Naturschutz, die Land- und Forstwirtschaft, der Katastrophenschutz und andere Betroffene eng zusammenarbeiten – und das im gesamten ⁠Einzugsgebiet⁠ des Flusses, unabhängig von administrativen Grenzen.

Die katastrophalen Ausmaße der Hochwasserereignisse im Juli 2021 im Westen Deutschlands verdeutlichen die Notwendigkeit, bestehende Hochwasservorsorgekonzepte stetig zu verbessern und an neue Erkenntnisse anzupassen. Der 10-Punkte Arbeitsplan „Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels“ der Landesregierung Nordrhein-Westfalen steht beispielhaft für diesen Anpassungsprozess und adressiert alle hier genannten Ebenen des Hochwasserrisikomanagements. Eine Verbesserung des Hochwasserrisikomanagements ist auch bei der Regionalplanung zu erreichen. Das Positionspapier „Risikobasierter Hochwasserschutz durch Regionalplanung“ von der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) zeigt Verbesserungspotenziale auf, wie der Hochwasserschutz in allen Bereichen der Risikovorsorge verbessert werden kann

Abbildung 1: Hochwasserrisikomanagementzyklus
Abbildung 1: Hochwasserrisikomanagementzyklus
Quelle: Matthias Rothe / UBA
 

Hochwasserrisiko und Schadenspotenzial

Seit dem Elbehochwasser 2002 hat sich der Begriff Hochwasserrisiko in der öffentlichen Diskussion und den gesetzlichen Regelwerken etabliert. Das Hochwasserrisiko meint dabei die Kombination aus der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses (⁠Jährlichkeit⁠) und die mit diesem Ereignis verbundenen möglichen Schäden (Schadenspotenzial). Hochwasser werden in „häufig auftretende Ereignisse“ (alle 10 bis 25 Jahre), „mittlere“ (mindestens einmal in 100 Jahren oder seltener) und „seltene Ereignisse/Extremereignisse“ (einmal in 200 Jahren oder seltener) unterschieden. Die extrem seltenen Hochwasserereignisse - sogenannte Extremereignisse - sind durch hohe Durchflussmengen und hohe Wasserstände gekennzeichnet. Es werden Flächen überflutet, die „normalerweise“ nicht vom Hochwasser betroffen sind. Diese Unterscheidung der Hochwasser nach bestimmten Jährlichkeiten basieren auf statistischen Auswertungen der Abflüsse eines Flusses, die man über viele Jahrzehnte hinweg beobachtet hat (Wahrscheinlichkeitsbetrachtung). Das Schadenspotenzial beschreibt Werte (Gebäude nebst Inneneinrichtung, Industrieanlagen, Verkehrsinfrastruktur, bewegliche Gegenstände wie z.B. Autos), die durch ein Hochwasser geschädigt werden können.

 

Gesetzliche Regelungen zum Hochwasserrisikomanagement

In der Europäischen Union wird die einheitliche Anwendung des Hochwasserrisikomanagements seit dem Jahr 2007 durch die Richtlinie über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken (2007/60/EG) – kurz EU-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (HWRM-RL) gewährleistet. Die in der Richtline gemachten Vorgaben werden durch umfassende Regelungen zum Hochwasserschutz und ⁠Hochwasserrisikomanagement⁠ im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) in nationales Recht umgesetzt. Diese bundesrechtlichen Regelungen des WHG belassen den Bundesländern eigenen Regelungsspielraum. So können die Bundesländer neben der Ausgestaltung des Vollzugs bestimmte Inhalte ebenfalls durch Gesetze und Verordnungen normieren. Im Bereich des Hochwasserschutzes sind in Deutschland für die Ausgestaltung detaillierter Strategien und Maßnahmen gegen Hochwasser im Wesentlichen die 16 Bundesländer verantwortlich.

 

Kernelemente des Hochwasserrisikomanagements

Das ⁠Hochwasserrisikomanagement⁠ erfasst neben dem Hochwasser an oberirdischen Gewässern im Binnenland auch Küstenhochwasser und Hochwasser aus Grundwasser. Es setzt sich aus den folgenden drei Kernelementen zusammen, die in einem sechs-jährigen Zyklus durchlaufen werden. Dabei wird überprüft, wie weit die Maßnahmenumsetzung vorangeschritten ist und ob neue Erkenntnisse, zum Beispiel zu den voraussichtlichen Auswirkungen des Klimawandels auf das Hochwasserrisiko, eine Anpassung der Hochwasserrisiken und der geplanten Maßnahmen notwendig machen:

(1) Bewertung des Hochwasserrisikos und Ausweisung von Risikogebieten (§ 73 WHG)

Als Risikogebiete werden solche Gebiete definiert, in denen nachteilige Folgen von Hochwasserereignissen für bestimmte Schutzgüter als signifikant, das heißt, bedeutsam eingeschätzt werden. Um das Hochwasserrisiko zu bewerten, wird das Schadenspotenzial von Hochwasserereignissen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe, wirtschaftliche Tätigkeiten und Sachwerte näher betrachtet (Schütte, 2021) und mit der statistischen Eintrittswahrscheinlichkeit (⁠Jährlichkeit⁠) in Beziehung gesetzt.

– Überschwemmungsgebiete (§ 76 WHG):

Neben der Ausweisung von Risikogebieten wird im Wasserhaushaltsgesetz die Festsetzung sogenannter Überschwemmungsgebiete geregelt, welche schon seit langem ein Instrument des Hochwassermanagements darstellt (Schütte, 2021). Überschwemmungsgebiete sind gemäß § 76 WHG Gebiete zwischen oberirdischen Gewässern und Deichen oder Hochufern und sonstige Gebiete, die bei Hochwasser eines oberirdischen Gewässers überschwemmt oder durchflossen oder die für Hochwasserentlastung oder Rückhaltung beansprucht werden. Als Überschwemmungsgebiete werden mindestens die Gebiete festgelegt, in denen ein Hochwasserereignis statistisch einmal in 100 Jahren zu erwarten ist.
Hochwasserschäden können demnach auch außerhalb von den festgelegten Überschwemmungsgebieten auftreten, zum Beispiel bei einem Hochwasserereignis, das statistisch nur einmal in 200 Jahren stattfindet.
In Überschwemmungsgebieten gelten besondere bauliche Schutzvorschriften. So dürfen Kommunen in Überschwemmungsgebieten durch Bauleitpläne keine neuen Baugebiete mehr ausweisen. Dieses „Neubauverbot“ ist ein zentrales Element für einen wirksamen Umgang mit Hochwasserrisiken. Einem weiteren Anwachsen von Schadenspotenzialen wird so entgegengewirkt. Geringere Schäden auf hochwassergefährdeten Flächen bedeuten gleichzeitig ein niedrigeres Hochwasserrisiko.

(2) Erstellung von Hochwassergefahren- und Risikokarten (§ 74 WHG)

Hochwassergefahren- und Risikokarten enthalten detaillierte Informationen zur flächenhaften Ausdehnung und zur Wassertiefe von Hochwasserereignissen (Visualisierung der von einem Hochwasser ausgehenden Gefahr) sowie zu deren möglichen nachteiligen Folgen (Visualisierung des von einem Hochwasser ausgehenden Risikos). Gefahrenkarten erfassen die Gebiete, die bei definierten Hochwasserereignissen (niedrige, mittlere, hohe Wiederkehrwahrscheinlichkeit) überflutet werden. Risikokarten enthalten z.B. Angaben zur Anzahl der potenziell betroffenen Einwohner, zur Art der wirtschaftlichen Tätigkeit im potenziell betroffenen Gebiet und zu Industrieanlagen (Abbildung 2).
Die Karten werden dabei für Hochwasserereignisse mit drei unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten erstellt: (1) hohe Wahrscheinlichkeit – voraussichtliches Wiederkehrintervall alle 10 bis 25 Jahre, (2) mittlere Wahrscheinlichkeit – voraussichtliches Wiederkehrintervall mindestens einmal in 100 Jahren, (3) niedrige Wahrscheinlichkeit – voraussichtliches Wiederkehrintervall mindestens einmal in 200 Jahren.

Hochwassergefahren- und risikokarten für die Elbe bei Magdeburg für Hochwasser mit hoher (einmal in 20 Jahren), mittlerer (einmal in 100 Jahren) und niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit (einmal in 200 Jahren). Dargestellt sind Überflutungsbereiche (blau), die Anzahl potenziell betroffener Einwohner sowie potenziell betroffene Kultur- und Industrieanlagen.
Abbildung 2: Hochwassergefahren- und risikokarten für die Elbe bei Magdeburg

Dargestellt sind Überflutungsbereiche (blau), die Anzahl potenziell betroffener Einwohner sowie potenziell betroffene Kultur- und Industrieanlagen für Hochwasser mit drei verschiedenen Eintrittswahrscheinlichkeiten: hoch – einmal in 20 Jahren, mittel – einmal in 100 Jahren und niedrig – einmal in 200 Jahren.

Quelle: © WasserBLick / Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)

(3) Erstellung von Hochwasserrisikomanagementplänen (§ 75 WHG)

Auf Grundlage der Hochwassergefahren- und Risikokarten werden für jede Flussgebietseinheit Risikomanagementpläne erstellt. Sie dienen dazu, die nachteiligen Folgen eines Hochwassers zu verringern. Dafür werden für die Risikogebiete angemessene Ziele festgelegt und alle zur Erreichung dieser Ziele notwendigen Maßnahmen (Vermeidung, Schutz, Vorsorge) in die Managementpläne aufgenommen. Die Maßnahmen dürfen das Hochwasserrisiko für andere Länder und Staaten im selben ⁠Einzugsgebiet⁠ oder Teileinzugsgebiet nicht erheblich erhöhen.

 

Literaturverzeichnis:

Schütte (2021): Schütte, Dieter B. Hochwasserschutz und kommunale Daseinsvorsorge.  Wasser und Abfall 23, 13–18 (2021).