Hochwasservorsorge

Die Elbe bei Hochwasser im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbezum Vergrößern anklicken
Die Elbe bei Hochwasser im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe
Quelle: Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe – Brandenburg; © Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Der Hochwasserschutz war in der Vergangenheit häufig stark auf technische Maßnahmen ausgerichtet. Eine nachhaltige Hochwasservorsorge nimmt rückt den natürlichen Hochwasserschutz stärker in den Fokus, bekämpft die Ursachen der Hochwasserentstehung, beschränkt die Nutzung der Flächen entlang von Flüssen und erhöht das Bewusstsein für Naturgefahren in der Bevölkerung.

Inhaltsverzeichnis

 

Mehr Raum für die Flüsse

Ufernahe Deiche haben in den vergangenen Jahrhunderten viele Überschwemmungsflächen von den Flüssen abgeschnitten. Damit können die Überschwemmungsflächen Hochwasser nicht mehr aufnehmen und zurückhalten. Heute sind an den großen Strömen Rhein, Elbe, Donau und Oder, sowie an den Flüssen Dosse, Ohre, Unstrut und Schwarzer Elster sowie an den alpinen Zuflüssen der Donau nur noch 20 Prozent der natürlichen Überschwemmungsflächen vorhanden (⁠BfN⁠ 2021). Diese Flächen - auch Hochwasserretentionsflächen genannt - haben im Falle eines Hochwassers eine wichtige Funktion: sie dämpfen den Verlauf einer Hochwasserwelle, weil sie Wasser zwischenspeichern und in der Fläche zurückhalten (Abbildung 1).

Eine wichtige Forderung der Hochwasserregelungen des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) ist folgerichtig, größere Flächen für die Ausuferung von Flüssen bereitzustellen. Dies ist beispielsweise mit der Festsetzung von Überschwemmungsgebieten, die von bestimmten Nutzungen freizuhalten sind, zu erreichen (Details dazu enthalten Arbeitshilfen der Länder, wie z.B. die Arbeitshilfe Hochwasserschutz und Bauplanungsrecht Brandenburg). Dadurch bleiben vorhandene Rückhalteflächen erhalten und neue Flächen können zurückgewonnen werden. Die Ausweisung eines Überschwemmungsgebietes geschieht nicht willkürlich. Sie richtet sich nach den natürlichen Rahmenbedingungen, in der Regel nach der Ausdehnung eines 100-jährlichen Hochwassers.

Deiche rückzuverlegen schafft Hochwasserretentionsflächen und ermöglicht darüber hinaus, Gewässer zu renaturieren, indem ihnen mehr Platz für eigendynamische Entwicklungen gegeben wird und Gewässerauen wieder an den Fluss angeschlossen werden. Auf diese Weise können wichtige Ökosystemleistungen von Fließgewässern (zum Beispiel Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, Hotspots der ⁠Biodiversität⁠, Nährstofffilter, Wasserspeicher, Kohlenstoffsenke) gestärkt werden. Maßnahmen des natürlichen Hochwasserschutzes sind deshalb gut mit den Zielen des Gewässer- und Naturschutzes vereinbar und weisen viele Synergien auf. Die online Plattform „Renaturierung von Fließgewässern“ stellt Informationen für potenzielle Maßnahmenträger von Renaturierungsprojekten zusammen. Der ökologische Nutzen von Poldern, die bei Hochwasser gezielt geflutet werden können, bleibt deutlich hinter den mit Deichrückverlegungen verbundenen Synergien zu Gewässer- und Naturschutzzielen zurück.

Abbildung 1: Prinzipielle Veränderung einer Hochwasserwelle durch Zwischenspeicherung. Wird Wasser in der Fläche zurückgehalten, weil der Fluss Platz zum ausufern hat, ist die Hochwasserwelle weniger steil. Die Abflussmenge bleibt jedoch konstant (schraffierte Bereiche sind gleich groß). Abbildung nach Landesamt für Umwelt Bayern.
Abbildung 1: Prinzipielle Veränderung einer Hochwasserwelle durch Zwischenspeicherung.

Wird Wasser in der Fläche zurückgehalten, weil der Fluss Platz zum ausufern hat, ist die Hochwasserwelle weniger steil. Die Abflussmenge bleibt jedoch konstant (schraffierte Bereiche sind gleich groß). Abbildung nach Landesamt für Umwelt Bayern.

Quelle: Matthias Rothe / UBA
 

Exkurs: Das Nationale Hochwasserschutzprogramm (NHWSP)

Als Folge des großen Hochwassers im Mai/Juni 2013 im Donau- und Elbeeinzugsgebiet beschloss die Sonderumweltministerkonferenz am 2. September 2013 die Erarbeitung eines bundesweiten, nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP). Ziel des Programms ist die beschleunigte Umsetzung prioritärer und überregional wirkender Maßnahmen des vorsorgenden Hochwasserschutzes im gesamten Bundesgebiet. Kernstück bilden dabei solche Maßnahmen, die eine überregionale Reduzierung der Hochwasserstände bewirken: (1) Deichrückverlegung / Wiedergewinnung von natürlichen Rückhalteflächen, (2) Gesteuerter Hochwasserrückhalt durch Flutpolder und Hochwasserrückhaltebecken sowie (3) Beseitigung von Schwachstellen. Das Programm beschreitet einen neuen Weg im ⁠Hochwasserrisikomanagement⁠ in Deutschland, da es das Solidaritätsprinzip durch Ausgleich der Lasten beim Oberlieger und des Nutzens beim Unterlieger als gesamtstaatliche Aufgabe begreift. Der Bund finanziert diese raumgebenden Maßnahmen (siehe Maßnahmenliste) über den 2015 in Kraft getretenen Sonderrahmenplan „Präventiver Hochwasserschutz“ mit jährlich bis zu 100 Mio. €. Das Programm wird jährlich fortgeschrieben. Mit Planungsstand im Jahr 2021 waren im NHWSP Flutpolder mit einem Retentionsvolumen von 825 Mio. Kubikmeter sowie Deichrückverlegungen mit einer Fläche von 25.011 Hektar gemeldet. Werden alle Maßnahmen umgesetzt (287 km², vgl. NHWSP Fläche wiedergewonnen Rückhaltes), vergrößert sich die natürliche Überschwemmungsfläche der rezenten ⁠Aue⁠ (5.119 km², vgl. ⁠BfN⁠ 2021 Kap. 4, S. 16) um circa 5 Prozent, bezogen auf die überflutbare Fläche aller Flüsse Deutschlands mit einem ⁠Einzugsgebiet⁠ größer als 1000 Quadratkilometern.

Forschungsprojekt zeigt Wirksamkeit der bisher geplanten überregionalen Maßnahmen

In einem ⁠UBA⁠-Forschungsvorhaben durchgeführt von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) (Laufzeit: 2016-2021) konnte gezeigt werden, dass alle bis zum Jahr 2020 geplanten überregionalen Maßnahmen (siehe Abbildung 2) in den Flussgebieten von Donau, Elbe und Rhein einen maßgeblichen Beitrag zur Absenkung der Scheitel von Hochwassern an den großen Flüssen leisten. Er beträgt für viele der modellierten Hochwasserereignisse und über weite Flussstreckenabschnitte zwischen 10 und 50 Zentimetern. Dabei zeigen sowohl die Gesamtwirkung aller Maßnahmen als auch ihre Einzelwirkung eine starke überregionale Komponente. Die aus den Ergebnissen abgeleiteten Empfehlungen unterstützen Bund und Bundesländer bei der Fortschreibung und inhaltlichen Weiterentwicklung des Nationalen Hochwasserschutzprogramms, damit die Wirkungen der NHWSP-Maßnahmen zukünftig noch systematischer und realistischer ausgewiesen werden können.

 

Standorte von gesteuerten (rot) und ungesteuerten (grün) Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP) in den Flussgebieten von Rhein, Elbe, Donau, Weser und Oder (Stand 2020). Dargestellt sind auch die Hauptpegel an den großen Strömen. Quelle: Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG).
Abbildung 2: Standorte von Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms

Standorte von gesteuerten (rot) und ungesteuerten (grün) Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP) in den Flussgebieten von Rhein, Elbe, Donau, Weser und Oder (Stand 2020). Dargestellt sind auch die Hauptpegel an den großen Strömen.

Quelle: Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)
 

Den natürlichen Wasserrückhalt stärken

Es genügt nicht, sich bei Hochwasser auf die Wasserwelle im Hauptstrom zu konzentrieren. Um den Ursachen einer Hochwasserentstehung zu begegnen, muss bereits an den Quell- und Nebenflüssen im ⁠Einzugsgebiet⁠ eines größeren Flusses Wasser zurückgehalten werden. Dies kann einerseits durch Renaturierungsmaßnahmen an Bächen und Flüssen sowie den Schutz und die Wiederherstellung von Auwäldern erreicht werden, wodurch der ⁠Abfluss⁠ einer Hochwasserwelle verzögert wird. Zum anderen wirken sich alle Maßnahmen, die den natürlichen Wasserrückhalt in der Landschaft stärken, vermindernd auf die Entstehung von Hochwasser aus: mehr dezentrale Versickerung von Regenwasser und Entsiegelung von Flächen in bebauten Gebieten, konservierende Bodenbearbeitung und Schaffung von Grünland in der Landwirtschaft, veränderte Waldbewirtschaftung und Aufforstung sowie Wiedervernässung von ehemaligen Feuchtgebieten und Mooren. Die Maßnahmen adressieren auch wichtige Ziele des Gewässer-, Natur- und Klimaschutzes sowie der Klimaanpassung, da sie die Bodenerosion vermindern, Nährstoffe zurückhalten, die ⁠Biodiversität⁠ fördern, Kohlenstoff speichern und die Auswirkungen von Witterungsextremen (zum Beispiel Trockenheit, Starkniederschläge) auf Ökosysteme abmildern (Forschungsvorhaben: Verbesserung des natürlichen Wasserrückhalts in der Agrarlandschaft). In Städten und Ballungszentren rücken die dezentrale Versickerung und Zwischenspeicherung von Niederschlagswasser zusätzlich zum Schutz vor ⁠Starkregen⁠ aus Gründen der Klimaanpassung (Forschungsvorhaben: Wassersensible Stadtentwicklung) im Sinne eines angepassten Stadtklimas immer stärker in den Fokus. Zu den genannten Aspekten werden aktuell weitere Forschungsvorhaben durchgeführt.

 

Siedlungsentwicklung steuern

Das wirksamste Mittel, um Schäden durch Hochwasser zu verhindern, ist, in Überschwemmungsgebieten nicht zu bauen. In festgesetzten Überschwemmungsgebieten dürfen Kommunen durch Bauleitpläne keine neuen Baugebiete ausweisen, sodass einem Anwachsen von Schadenspotenzialen entgegengewirkt wird. Nur in Ausnahmefällen darf in Überschwemmungsgebieten neu gebaut werden, wobei klar definierte Bedingungen (siehe § 78 Absatz 2 Wasserhaushaltsgesetz) gelten. In Überschwemmungsgebieten dürfen keine neuen Ölheizungen errichtet werden. Für Bestandsanlagen ist eine hochwassersichere Nachrüstung verpflichtend. Ausgetretenes Heizöl kann bis zu 70 Prozent der Schadenssumme an Gebäuden ausmachen und große Umweltschäden in Gewässern und Böden verursachen. Die Bundesländer können in Rechtsverordnungen weitere Vorgaben zu den zulässigen baulichen und sonstigen Nutzungen in Überschwemmungsgebieten sowie zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen machen. Seit dem 1. September 2021 ist darüber hinaus der erste länderübergreifende Raumordnungsplan für den Hochwasserschutz in Kraft, der darauf abzielt, hochwassergefährdete Flächen einheitlicher durch vorrausschauende Raumplanung zu schützen.

 

Hochwasserbewusstsein erhöhen und Eigenvorsorge treffen

Für den Hochwasserfall vorzusorgen und die durch ein Hochwasser verursachten Schäden so gering wie möglich zu halten, ist nicht nur Aufgabe von Kommunen, Bundesländern oder dem Bund, sondern auch jedes Einzelnen. Die Eigenvorsorge beginnt damit, sich bereits vor einem Hochwasserereignis über die potenzielle Hochwassergefährdung vor Ort zu informieren (Informationsvorsorge): Lebe ich in einem Hochwasserrisiko- oder einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet? Gibt es aktuelle Hochwasserwarnungen und Prognosen über den zu erwartenden Wasserstand von hochwasserführenden Flüssen? Welche Maßnahmen zur Eigenvorsorge schlagen die betroffene Kommune und die Wasserbehörden der Bundesländer vor? Einen Überblick zu vorhandenen Informations- und Warnportalen findet sich unter "Hochwasserwarnung".

Ein weiterer Aspekt der Eigenvorsorge betrifft alle baulichen Maßnahmen, die Häuser und Wohnungen besser an eine Gefährdung durch Hochwasser anpassen – die sogenannte Bauvorsorge: Sie umfasst sowohl einfache Vorkehrungen wie das Hochlagern wertvoller Gegenstände als auch konstruktive Anpassungen von zum Beispiel Fundamenten, Wänden, Hausanschlüssen sowie Tür- und Fensteröffnungen. Zusätzlich schaffen Versicherungslösungen einen weiteren Anreiz für Betroffene, sich auf ein Hochwasser vorzubereiten (Risikovorsorge) und die Kosten für die Allgemeinheit zu reduzieren. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die herkömmlichen Hausrat- oder Wohngebäudeversicherungen Schäden durch Hochwasser nicht ersetzen. Private Haushalte und Unternehmen müssen daher zusätzlich und freiwillig eine Elementarschadenversicherung abschließen, wenn sie sich vor den finanziellen Folgen von extremen Naturgefahren schützen wollen.

Private Haushalte und Unternehmen müssen daher zusätzlich und freiwillig eine Elementarschadenversicherung abschließen, wenn sie sich vor den finanziellen Folgen von extremen Naturgefahren schützen wollen. Mit dem Hochwasser-Check des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (⁠GDV⁠) kann geprüft werden, ob eine erhöhte Gefahr von Flusshochwassern für Grundstücke besteht. In Deutschland waren im Jahr 2021 nur 46 % der Gebäude umfassend gegen Naturgefahren versichert (GDV 2021). 

 

Technischer Hochwasserschutz

Der technische Hochwasserschutz, vor allem der Deichbau, ist fester Bestandteil einer umfassenden ⁠Hochwasservorsorge⁠. Deiche und Hochwasserschutzmauern werden seit Jahrhunderten eingesetzt, um Häuser, Industrie und Verkehrsinfrastruktur vor Hochwasser zu schützen.  Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes sollten nicht die Illusion hundertprozentiger Sicherheit vermitteln und nicht dazu führen in Hochwasserrisikogebieten weiter zu bauen, Deiche und Dämme schützen vor Hochwasser– aber nur bis zu einem festgelegten Wasserstand und einer bestimmten Dauer des Hochwassers. Einen absoluten Hochwasserschutz gibt es nicht. Bricht ein Deich oder versagen andere Hochwasserschutzeinrichtungen, sind die Schäden in der Regel sehr groß. Die Anlage von Deichen und Dämmen führt zudem zu einer Beschleunigung des Abflusses. Für flussabwärts gelegene Gemeinden (Unterlieger) steigt damit die Gefahr einer Überflutung. Darüber hinaus trennen Deiche die Flüsse von ihren natürlichen Überschwemmungsgebieten ab, was weitreichende negative Folgen für die ökologische Funktionsfähigkeit der Fließgewässer und ihrer Auen und den Landschaftswasserhaushalt hat.

Aktuelle Forschungsvorhaben

Literaturverzeichnis

BfN⁠ 2021. Auenzustandsbericht 2021 - Flussauen in Deutschland. Bundesamt für Naturschutz

GDV⁠ 2021. Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GdV): Übersicht über den Anteil der Gebäude je Bundesland, die umfassend  gegen  Naturgefahren versichert sind (Elementarschäden)

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