Eintrag, Vorkommen, Wirkungen von Arzneistoffen in der Umwelt
Rückstände von Humanarzneimitteln gelangen hauptsächlich über das Abwasser in die Umwelt. Arzneistoffe sind biologisch hochaktiv und können insbesondere in Gewässern schädlich auf Lebewesen wirken.
Arzneimittel gehören zu den wichtigen Werkzeugen der Medizin und sind in unserem Leben allgegenwärtig. Wir alle nehmen bei Bedarf oder regelmäßig Medikamente ein und unser Arzneimittelverbrauch steigt meist mit zunehmendem Alter. Menschen im Alter von 85-89 Jahren nehmen im Vergleich zu den 20-24 Jährigen durchschnittlich die 23-fache Menge an Medikamenten ein (1). Aufgrund des wachsenden Anteils älterer Bevölkerungsgruppen ist in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland mit einem Anstieg des Medikamentenkonsums zu rechnen (2).
In Deutschland sind rund 2.500 verschiedene Arzneiwirkstoffe (3) in über 100.000 Humanarzneimitteln (4) verfügbar mit jährlichen Verbrauchsmengen von mehr als 35.000 Tonnen (3). 2021 wurden Medikamente am häufigsten bei folgenden Erkrankungen verschrieben (5):
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (33 %)
Schmerzen und Entzündungen (13 %)
Erkrankungen des Nervensystems (11 %)
Magen-Darm-Erkrankungen (7 %)
Regulation des Hormonsystems (6 %)
Diabetes (5 %)
Arzneistoffe gelangen kontinuierlich in die Umwelt
Humanarzneistoffe werden in veränderter (metabolisierter) Form und zum Teil unverändert vom menschlichen Körper wieder abgegeben und gelangen über die Ausscheidungen sowie durch Abwaschen nach Anwendungen auf der Haut über das Abwasser in die Kläranlagen. Auch die unsachgemäße Entsorgung nicht verbrauchter Medikamente über Abfluss und Toilette trägt dazu bei.
Kläranlagen können nicht alle im Abwasser enthaltenen Substanzen zurückhalten. Das gereinigte Wasser enthält oft noch Arzneimittelrückstände, die mit dem Kläranlagenablauf in die Gewässer gelangen. So werden alljährlich viele Tonnen Arzneiwirkstoffe und deren Stoffwechselprodukte über die Kläranlagen in die Umwelt eingeleitet. Einige Substanzen bleiben im Klärschlamm zurück. 2022 wurden in Deutschland ca. 80 % des Klärschlamms in Müllheizkraftwerken mitverbrannt, wobei die Arzneistoffe zerstört werden. Aber auch im Jahr 2024 wird noch Klärschlamm als Wirtschaftsdünger in der Landwirtschaft ausgebracht, und so gelangen auch auf diesem Wege Rückstände von Humanarzneimitteln in die Umwelt (6). Belastete Produktionsabwässer aus der Pharmaindustrie sind eine weitere Quelle. Auch Tierarzneimittel gelangen in die Umwelt. Hier ist Dünger, der in Form von Gülle und Mist medikamentös behandelter Tiere auf Äcker ausgebracht wird, der Haupteintragspfad.
Überall in der Umwelt werden Arzneistoffe nachgewiesen
Bis 2020 wurden bei Untersuchungen in 89 Ländern weltweit 992 pharmazeutische Wirkstoffe und deren Abbauprodukte oberhalb der Nachweisgrenze in Böden, Oberflächengewässern und Sedimenten gemessen, das sind 221 Wirkstoffe mehr als 2016. In der Umwelt in Deutschland sind es mit 414 Arzneiwirkstoffen inklusive deren Abbauprodukte 145 mehr als noch 2016 (7).
Besonders häufig werden Substanzen aus diesen Wirkstoffklassen nachgewiesen:
jodierte Röntgenkontrastmittel
Epilepsie-Medikamente, insbesondere Carbamazepin
schmerz- und entzündungshemmende Arzneimittel, insbesondere Diclofenac und Ibuprofen
Antibiotika, insbesondere Sulfamethoxazol
Cholesterinsenker
Blutdrucksenker
Arzneimittelrückstände werden im Rahmen der Gewässerüberwachung der Bundesländer regelmäßig gemessen und sind nahezu flächendeckend und ganzjährig in Oberflächengewässern, aber auch in Boden- und Grundwasserproben zu finden. Auch im Trinkwasser gibt es vereinzelt Spuren von Arzneistoffen. Besonders hohe Konzentrationen von Humanarzneistoffen werden in den Abläufen der Kläranlagen gemessen. Oberflächengewässer mit einem hohen Anteil an gereinigtem Abwasser aus kommunalen Kläranlagen enthalten folglich auch mehr Arzneimittelrückstände.
Arzneistoffe haben in der Umwelt schädliche Wirkungen auf Lebewesen
Arzneimittelwirkstoffe sind biologisch hochaktive Stoffe, die gezielt in den Regelungsmechanismus von Organismen eingreifen: Sie können zum Beispiel den Stoffwechsel beeinflussen, das hormonelle Gleichgewicht verschieben oder die Signalübertragung von Zelle zu Zelle verändern. Aufgrund ihrer biologischen Aktivität und der Vielzahl spezifischer Wirkungen haben Arzneistoffe auch auf andere Lebewesen Einfluß, wenn sie in die Umwelt gelangen. Für viele Arzneistoffe ist das Ausmaß der Risiken vor allem wegen fehlender Daten zur Wirkung und fehlender Langzeituntersuchungen nicht genau abzuschätzen. Dies ist beunruhigend, da für einige Arzneistoffe schädliche Auswirkungen auf Lebewesen in der Umwelt bereits klar belegt sind.
Zum Beispiel beeinträchtigt der künstliche hormonelle Wirkstoff der Verhütungspille (17α-Ethinylestradiol) bereits in sehr niedrigen Konzentrationen die Vermehrungsfähigkeit von Fischen und Amphibien. Die Störung des Hormonsystems der Tiere kann sich z. B. in der Ausbildung verkleinerter Hoden, einer geringerer Spermienmobilität oder Zwitterbildung äußern. Ein anderes Beispiel ist das Schmerzmittel Diclofenac. Es schädigt bei Fischen innere Organe wie Leber und Niere.
Einige Antibiotika (z. B. Makrolide) schädigen Cyanobakterien und Algen (8) und bringen dadurch ganze Nahrungsnetze in Gefahr. Andere Antibiotikawirkstoffe (z. B. Sulfonamide und Tetracycline) wirken schädigend auf Bodenorganismen und können damit die Fruchtbarkeit der Böden herabsetzen (9).
Zusätzlich zu den direkten negativen Umwelteffekten, stellen Antibiotikarückstände aber auch eine Gefahr durch die Förderung der Entstehung von antibiotikaresistenten Bakterien und deren Verbreitung dar. Solche resistenten Keime sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine der weltweit größten Gesundheitsbedrohungen, denn resistente Keime können nicht mehr mit Antibiotika bekämpft werden. Selbst einfache Infektionen werden nicht mehr behandelbar, wenn Antibiotika als Therapieoption wegfallen. Die Verbreitung resistenter Keime ist insbesondere auf die massenhafte Anwendung von Antibiotika in der Intensivtierhaltung und Humanmedizin zurückzuführen.
Antibiotikaresistenzen bei Bakterien, die beim Menschen Infektionen hervorrufen, sogenannte Humanpathogene, sind ein schwerwiegendes Problem des öffentlichen Gesundheitswesens. Auch in der Umwelt wurden bereits multiresistente Mikroorganismen mehrfach nachgewiesen: so zum Beispiel in Fließgewässern unterhalb von Kläranlagen-Abläufen, die oft besonders hohe Antibiotikakonzentrationen enthalten. Zwar liegt seit 2008 mit der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) ein Konzept zur internationalen und nationalen Eindämmung antimikrobieller Resistenzen in Deutschland vor, aber hinsichtlich der Resistenzen in der Umwelt besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.
Trinkwasser und Nahrung vor Arzneistoffeinträgen schützen
Wasser bedarf eines besonderen Schutzes, denn es ist nicht ein Lebensraum für Wasserlebewesen sondern auch eine unverzichtbare Lebensgrundlage für den Menschen. Dennoch konnten bei einzelnen Untersuchungen im Trinkwasser beispielsweise die Schmerzmittel Diclofenac, Ibuprofen und Phenazon oder das Antibiotikum Sulfamethoxazol, aber auch der Wirkstoff der Verhütungspille 17α-Ethinylestradiol gefunden werden (7). Die nachgewiesenen Mengen liegen einhundert bis eine Million Mal niedriger als die benötigten Tagesdosen und damit unterhalb der therapeutisch wirksamen Konzentrationen für den Menschen. Nach heutigem Kenntnisstand werden Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit ausgeschlossen.
Dennoch sollte im Sinne des Vorsorgeprinzips gehandelt und der Eintrag von Arzneistoffen in die Umwelt reduziert werden, zumal bis heute nicht bekannt ist, welche Effekte eine dauerhafte Aufnahme auch von niedrigen Konzentrationen auf Mensch und Umwelt haben. Auch widersprechen Wirkstoffspuren – selbst, wenn sie nachweislich nicht schädlich sind – dem Leitbild eines reinen Trinkwassers, welches besagt, dass Trinkwasser frei von Fremdstoffen sein soll, sowie dem Minimierungsgebot, d. h. dem Anspruch, Verunreinigungen so gering zu halten, wie dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Auch wenn sich Langzeitrisiken zurzeit wissenschaftlich nicht ableiten lassen, sind vorsorgliche Maßnahmen und weitere Beobachtungen angesichts des prognostizierten steigenden Arzneimittelkonsums notwendig.
Antibiotikarückstände werden von einigen Pflanzen, darunter auch Nutzpflanzen, aufgenommen und angereichert (10). Neben einer wachstumshemmenden Wirkung auf die Pflanzen selbst, können die Antibiotikarückstände so auch in die Nahrungskette gelangen.
Antibiotika wirken sich auch auf die Zusammensetzung von Mikroorganismengemeinschaften in Böden aus. Dadurch können nützliche Pilze, wie Mykorrhiza, geschädigt werden. Wirken Antibiotika auf Mikroorganismen, die am Stickstoffkreislauf beteiligt sind, kann die Bodenfruchtbarkeit negativ betroffen (11) oder der Nitratabbau gehemmt sein, was zu einer zusätzlichen Belastung der Gewässer führen kann (12).
Prinzipiell besteht das Risiko, dass Arzneistoffe oder resistente Mikroorganismen über Lebensmittel in die humane Nahrungskette gelangen. Insgesamt ist die Kenntnislage zu diesem Themenkomplex jedoch noch sehr lückenhaft. Die Anreicherung von Arzneimittelrückständen in pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln wurde bereits nachgewiesen. Feldversuche zeigten, dass ein Transfer von Tierarzneimittelrückständen über den Pfad Gülle - Boden in die Pflanze auch bei den in der tiermedizinischen Praxis üblichen Dosierungen möglich ist. So wurden entsprechende Rückstände z. B. bei Getreide (Winterweizen) auch im Erntegut, also dem Weizenkorn, nachgewiesen.
3. Based on internal analysis by UBA using data from the following source: IQVIA MIDAS® Quarterly volume (kg) sales data for Germany Pharmascope and Germany Hospital; Data period: Calendar Year 2010 - 2022, reflecting estimates of real-world activity. Copyright IQVIA. All rights reserved.
8. Liu F, Ying GG, Tao R, Zhao JL, Yang JF, Zhao LF. 2009: Effects of six selected antibiotics on plant growth and soil microbial and enzymatic activities. Environ Pollut 2009; 157: 1636–1642, https://doi.org/10.1016/j.envpol.2008.12.021
9. Grenni P, Ancona V, Caracciolo AB. 2018: Ecological effects of antibiotics on natural ecosystems: A review. Microchemical Journal 2018; 136: 25–39, https://doi.org/10.1016/j.microc.2017.02.006
10. Lillenberg M, Yurchenko S, Kipper K, Herodes K, Pihl V, Lõhmus R, et al. 2010: Presence of fluoroquinolones and sulfonamides in urban sewage sludge and their degradation as a result of composting. International Journal of Environmental Science & Technology 2010; 7: 307–312, https://doi.org/10.1007/BF03326140
12. Kotzerke, A. et al. 2008: Alterations in soil microbial activity and N-transformation processes due to sulfadiazine loads in pig-manure. Environmental Pollution, 153(2), 315-322, https://doi.org/10.1016/j.envpol.2007.08.020
„Für Mensch und Umwelt“ ist der Leitspruch des UBA und bringt auf den Punkt, wofür wir da sind. In diesem Video geben wir Einblick in unsere Arbeit.
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