BD-I-1: Phänologische Veränderungen bei Wildpflanzenarten
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Der Beginn des phänologischen Frühlings, Sommers und Herbstes hat sich in den letzten 71 Jahren im Jahresverlauf im Durchschnitt nach vorne verschoben. Der Winter ist deutlich kürzer, der Frühherbst deutlich länger geworden. Diese Veränderungen sind Ausdruck der Anpassungsfähigkeit von Pflanzen an das veränderte Klima. Sie können aber auch Folgen für die biologische Vielfalt bis hin zur Gefährdung von Tier- und Pflanzenarten haben.
In unseren Breiten bestimmen insbesondere die klima- und witterungsbedingten Temperaturverläufe den Jahresgang der Entwicklung der Pflanzen. So lässt sich beispielsweise in einem warmen Winter eine sehr frühe Blüte von Gehölzen wie Hasel (Corylus avellana) oder Schwarzerle (Alnus glutinosa) beobachten. Für diese Entwicklung sind nicht einzelne besonders warme oder kalte Tage entscheidend, sondern längerfristige Witterungsverläufe, die der Blüte vorangehen. Sind die Temperaturen beispielsweise während des Winters über mehrere Wochen hinweg hoch, bauen sich hohe Wärmesummen auf, die die Pflanzenentwicklung beschleunigen.
Veränderungen natürlicher jahreszeitlicher Rhythmen und die damit verbundenen zeitlichen Verschiebungen in der Entwicklung von Pflanzen werden seit vielen Jahren anhand sogenannter phänologischer Beobachtungen dokumentiert. Erfasst wird dabei bundesweit das Eintreten bestimmter periodisch wiederkehrender biologischer Erscheinungen wie Blatt- und Knospenaustrieb, Blüte, Fruchtreife oder Blattfall. Das phänologische Beobachtungsnetz des DWD umfasst unter anderem ein breites Spektrum von Wildpflanzen, deren spezifische Entwicklungsphasen den Beginn der phänologischen Jahreszeiten markieren. Wildpflanzen eignen sich besonders für die Beobachtung phänologischer Verschiebungen, da ihre Reaktionen nicht durch züchterische Veränderungen oder landbauliche Maßnahmen beeinflusst werden (siehe Indikatoren LW-I-1 und LW-R-1).
Da eine Interpretation der Verschiebungen jahreszeitlicher Zyklen nur über größere Zeiträume betrachtet zu gesicherten Ergebnissen führt, werden phänologische Daten ebenso wie klimatische Daten über Zeiträume von 30 Jahren gemittelt. Vergleicht man in der sogenannten phänologischen Uhr die mittleren Eintrittszeitpunkte der phänologischen Jahreszeiten im Referenzzeitraum 1951–1980 und im Vergleichszeitraum 1981–2010 mit denen im Zeitraum 1992–2021, wird folgendes Muster deutlich: Die phänologischen Jahreszeiten vom Vorfrühling über den Frühsommer bis zum Frühherbst setzten in den beiden Perioden nach 1981 jeweils früher ein als im Referenzzeitraum 1951–1980, Vollherbst, Spätherbst und Winter hingegen jeweils später. Einzig beim Vorfrühling ist der Unterschied statistisch nicht signifikant. Dadurch war insbesondere der Frühherbst im Mittel der Jahre 1992–2021 um etwa 17 Tage länger als im Referenzzeitraum 1951–1980, der Winter jedoch um etwa zehn Tage kürzer als noch zwischen 1951 und 1980. Aus diesem Vergleich ergibt sich auch, dass der Sommer im Mittel der drei betrachteten Perioden zwar fast unverändert etwa 90 Tage dauerte, aber Beginn und Ende des Sommers in der Periode 1992–2021 durchschnittlich jeweils etwa zwölf Tage früher eintraten als in der Referenzperiode 1951–1980. Analysiert man die Eintrittsdaten der phänologischen Jahreszeiten im Vergleich der Periode 1992–2021 mit dem Referenzzeitraum 1951–1980, so ergeben sich in den meisten Fällen hochsignifikante Unterschiede zwischen den beiden Perioden für alle Jahreszeiten.
Verschiebungen phänologischer Jahreszeiten sind zum einen Ausdruck der Anpassungsfähigkeit von Pflanzen und Tieren an veränderte Klimaverhältnisse. Zum anderen lassen die durch den Klimawandel verursachten Veränderungen von Entwicklungszyklen aber auch auf Folgewirkungen für die biologische Vielfalt schließen. Phänologische Verschiebungen können in bestimmten Fällen das zeitliche Zusammenspiel zwischen Organismen entkoppeln. Dadurch werden etablierte Wechselwirkungen beispielsweise zwischen Pflanzen und deren Bestäubern oder in Räuber-Beute-Beziehungen beeinflusst. Dies wirkt sich auf Strukturen und Funktionen von Ökosystemen aus und kann bis hin zur Gefährdung von Tier- und Pflanzenarten führen. So konnte unter anderem anhand von Populationen des Trauerschnäppers (Ficedula hypoleuca) in den Niederlanden nachgewiesen werden, dass die Individuenzahl zurückging, weil es zu einer solchen zeitlichen Entkopplung der Aufzuchtzeit der Nestlinge von der Zeit des optimalen Nahrungsangebots gekommen ist.127 Da Trauerschnäpper Langstreckenzieher sind und in Afrika überwintern, können sie auf veränderte Zyklen der Entwicklung ihrer Nahrungsorganismen nicht ausreichend reagieren.
Für Deutschland gibt es keine breit angelegten Untersuchungen oder systematischen Beobachtungen zu den Folgen solcher durch phänologische Verschiebungen veränderter Beziehungen zwischen Pflanzen und Tieren. Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nur die Aussage möglich, dass mit weiteren Verschiebungen der phänologischen Phasen eine Zunahme solcher Veränderungen erwartet wird.
Gleiches gilt für die beobachtete Verlängerung der phänologischen Vegetationsperiode. Deren Dauer entspricht der Summe der Tage des phänologischen Frühlings, Sommers und Herbstes. Während die Vegetationsperiode in den Jahren 1951–1980 im Mittel lediglich 222 Tage dauerte, verlängerte sie sich im Durchschnitt der Jahre 1981–2010 um 8 Tage auf 230 Tage und im Durchschnitt der Jahre 1992–2021 um 10 Tage auf 232 Tage. Dabei ist zu beachten, dass die Länge über die Jahre hinweg stark variiert. Eine Verlängerung der Vegetationsperiode kann beispielsweise zu einer höheren Produktivität von Ökosystemen führen, was wiederum Beziehungen zwischen verschiedenen Arten beeinflussen kann. Deutschlandweite systematische Untersuchungen zu den Auswirkungen einer verlängerten Vegetationsperiode auf die biologische Vielfalt liegen bisher nicht vor.
127 - Both C., Bouwhuis S., Lessells C.M., Visser M.E. 2006: Climate change and population declines in a longdistance migratory bird. Nature 441: 81-83. doi: 10.1038/nature04539.