Inhaltsverzeichnis
1. bis 2.
1. Was sind endokrine Disruptoren?
1.1 Mehr zum Hormonsystem und den Wechselwirkungen mit endokrinen Disruptoren
2. Was macht endokrine Disruptoren besonders problematisch?
3. Haben endokrin wirksame Stoffe Auswirkungen auf Wildtiere?
3.1 Mehr zu Schäden, die in der Umwelt beobachtet werden
4. Wie werden endokrine Disruptoren gesetzlich behandelt?
4.1 Mehr: was bedeutet „gefährlichkeitsbasierte Bewertung“
4.2 Mehr zur Zulassungsroute endokriner Disruptoren
5. Wie werden endokrine Disruptoren im regulatorischen Sinne definiert?
6. Woher wissen wir, ob ein Stoff auf das Hormonsystem wirken kann?
6.1 Mehr Informationen zum weiteren Vorgehen
7. Wie erfolgt die wissenschaftliche Prüfung endokriner Disruptoren?
7.1 Mehr: Wie sieht das fünfstufige Prüfverfahren für endokrine Disruptoren aus?
8. Welche Stoffe bewertet(e) das UBA aufgrund eines ED-Verdachts?
9. Verantwortung der Industrie
10. Forschungsprojekte
11. Glossar
12. Literaturverzeichnis
13. Buchempfehlungen für die breitere Öffentlichkeit
1. Was sind endokrine Disruptoren?
Endokrine Disruptoren (ED) sind Chemikalien oder Mischungen von Chemikalien, die die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen stören und dadurch schädliche Effekte (z.B. Störung von Wachstum und Entwicklung, negative Beeinflussung der Fortpflanzung oder erhöhte Anfälligkeit für spezielle Erkrankungen) hervorrufen.
Diese Aspekte sind in einer international anerkannten, wissenschaftlichen Definition von endokrinen Disruptoren zusammengefasst, die die WHO in ihrem Bericht „Global Assessment of the State-of-the Science of Endocrine Disruptors“ 2002 veröffentlicht hat (WHO/IPCS, 2002).
Neben den endokrinen Disruptoren nach obiger Definition, gibt es noch die sogenannten endokrin aktiven Substanzen (EA). Dies sind Chemikalien, die zwar mit der biochemischen Wirkweise von Hormonen interagieren, wobei es aber beim aktuellen Stand des Wissens noch unklar ist, ob diese Wechselwirkung zu einem schädlichen Effekt auf den gesamten Organismus führt oder nicht.
1.1 Mehr zum Hormonsystem und den Wechselwirkungen mit endokrinen Disruptoren
Das Hormonsystem von Wirbeltieren besteht hauptsächlich aus endokrinen Drüsen (z.B. Schilddrüse, Keimdrüsen, Nebennieren, Bauchspeicheldrüse), den Hormonen, die sie produzieren, wie Thyroxin, Östrogen, Testosteron, Cortisol, Adrenalin oder Insulin, sowie den Zielzellen, in denen die Hormone wirken. Auch andere Organismengruppen wie beispielsweise Schnecken, Krebstiere oder Insekten verfügen über ein Hormonsystem und produzieren Hormone, die denen der Wirbeltiere sehr ähnlich sein können, wie zum Bespiel die Ecdysteroide (Häutungshormone) bei Insekten. Hormone sind Signalmoleküle, die meistens über das Blut transportiert werden und so im gesamten Organismus Reaktionen hervorrufen können. Hormone sind vor allem an der Steuerung der Entwicklung, des Wachstums, der Reproduktion und des Verhaltens von Tieren und Menschen beteiligt. Endokrine Disruptoren und endokrin aktive Stoffe können die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen auf verschiedenen Ebenen stören. Die hauptsächlichen bisher bekannten Ansatzpunkte für eine Störung der natürlichen Hormonwirkung sind:
• Hormonrezeptor vermittelte Wirkung: Aufgrund von chemischer Strukturähnlichkeit zu den natürlichen Hormonen können ED und EA direkt an die Hormonrezeptoren in den Zellen eines Organismus binden und so die Wirkung der natürlichen Hormone abschwächen (Antagonisten) oder verstärken (Agonisten).
• Veränderung der Rezeptoraktivität: ED und EA können auch die Menge der in den Zellen produzierten Rezeptorproteine über das normale Maß hinaus erhöhen oder erniedrigen und so die Stärke der Rezeptoraktivität verändern.
• Veränderung der Hormonkonzentration: ED und EA können über verschiedene Wirkmechanismen die Produktion der natürlichen Hormone in den endokrinen Drüsen von Organismen stören. Ebenso kann die Freisetzung der natürlichen Hormone, deren Transport im Blut und in die Zielzellen hinein durch ED und EA gestört werden.
• Veränderung des Abbaus natürlicher Hormone: ED und EA können den natürlichen Metabolismus (Abbau, Ausscheidung) von Hormonen stören, z.B. über die Hemmung von Enzymen, die dafür zuständig sind, das Hormongleichgewicht in Organismen aufrecht zu erhalten.
2. Was macht endokrine Disruptoren besonders problematisch?
Aufgrund ihrer Wirkweisen können ED in Organismen besonders schwerwiegende Effekte hervorrufen. Dazu zählen vor allem irreversible Schädigungen in der Entwicklung von Organismen, die Förderung bestimmter Krebsarten beim Menschen und die Gefährdung ganzer Populationen durch z.B. die deutliche Verschiebung von Geschlechterverhältnissen bei Wildtieren.
Die wissenschaftliche Identifizierung und Vorhersage dieser Effekte wird bei ED durch folgende Punkte besonders erschwert:
• Geringes Wissen über die Funktion der Hormonsysteme und die damit verbundenen artspezifischen Sensitivitätsunterschiede (insbesondere bei Invertebraten), und der daraus resultierende Mangel an international anerkannten und validierten Testmethoden.
• Die Möglichkeit, dass Effekte - insbesondere nach einer Exposition in sensitiven Lebensphasen - zeitverzögert auftreten und eventuell erst bei Nachfolgegenerationen sichtbar werden.
• Die oftmals sehr niedrigen wirksamen Konzentrationen bekannter ED, so reichen z.B. wenige µg/L Nonylphenol aus, damit im Labortest bei Fischen nur weibliche Nachkommen heranwachsen.
• Die Möglichkeit additiver Effekte mit einer Vielzahl bereits in der Umwelt vorhandener endokrin aktiver Chemikalien.
Die daraus resultierenden Bewertungsunsicherheiten gepaart mit der Möglichkeit der oben genannten schwerwiegenden Effekte auf Mensch und Umwelt, machen ED zu besonders besorgniserregenden Stoffen, die schon seit mehreren Jahren Gegenstand intensiver und kontroverser Diskussionen sind.
3. bis 5.
3. Haben endokrin wirksame Stoffe Auswirkungen auf Wildtiere?
Ereigniskette zur Entwicklung eines, durch DDT-Verwendung verursachten,
Populationsrückganges der Weißkopfseeadler.
Quelle: Éva Fetter/UBA, Foto Weißkopfseeadler: Rudolf Lettner/fotolia.de
In der Vergangenheit wurden bei zahlreichen Wildtierarten Effekte beobachtet, die durch endokrine Disruptoren hervorgerufen wurden. Ein prominentes Beispiel ist DDT, ein Insektizid welches einen Populationsrückgang bei vielen Raubvogelarten, wie z.B. bei Weißkopfseeadlern, verursachte. Weitere bedeutende Beispiele sind der Rückgang des Ostsee-Robbenbestandes durch eine Fortpflanzungsstörung, die auf PCB -Kontaminierungen zurückzuführen ist, oder die Entwicklung männlicher Geschlechtsorgane in weiblichen Meerestieren durch TBT-Verbindungen (WHO 2002).
Am stärksten belastet sind die Ökosysteme der Oberflächengewässer, da endokrine Disruptoren und endokrin aktive Stoffe vor allem durch Auswaschung, Niederschlag, Oberflächenabfluss und Abwassereinleitung in die Gewässer gelangen und teilweise am Sediment gebunden transportiert und später freigesetzt werden können. Die lokalen Konzentrationen von endokrinen Disruptoren sind in den Gewässern zwar gering, aber teilweise schon ausreichend, um hormonelle Effekte auszulösen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass bei Fischen unterhalb kommunaler oder industrieller Klärwerkabflüsse (z.B. von Papiermühlen) Veränderungen der Geschlechtsorgane beobachtbar sind. Weitere Studien zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen Umweltbelastungen mit bekannten oder vermuteten ED und Effekte auf die Fortpflanzung und Entwicklung von Fischen, Amphibien und Reptilien (EEA, 2012; WHO & UNEP, 2013; Stolzenberg, HC., 2013).
3.1 Mehr zu Schäden, die in der Umwelt beobachtet werden
Da die Umwelt einer Vielzahl an Chemikalien ausgesetzt ist und Effekte auch durch andere Faktoren auftreten können, ist es sehr schwer eindeutig zu belegen, dass bestimmte, in der Umwelt beobachtete Schäden durch endokrine Disruptoren verursacht werden.
Bei Fischen wurden eine Veränderung der Organgröße (Munkittrick et al., 1991) und des Gewichts (Lavado et al., 2004; Orlando et al., 2007), Missbildungen der Geschlechtsorgane (Vajda et al., 2008) und Intersexualität (Bjerregaard et al., 2006; Blazer et al., 2007; Kavanagh et al., 2004) im Zusammenhang mit erhöhten Konzentrationen endokriner Disruptoren (östrogen und androgen wirksame Chemikalien) in Gewässern beobachtet. Im Einzugsgebiet der Großen Seen in Nordamerika wurden Entwicklungsanomalien und dadurch ein Rückgang der Schnappschildkrötenpopulation aufgrund der Kontamination mit Chlororganischen Verbindungen beobachtet (Bishop et al. 1998). Aus demselben Grund vermuten Wissenschaftler den Rückgang der Froschbevölkerung in Ontario, da Chlororganische Verbindungen in Fröschen in hohen Konzentrationen gefunden wurden (Russel et al. 1995). Nach einem Unfall bei der Dicofol Herstellung wurde der See Apopka in Florida stark kontaminiert; später wurden bei Alligatoren vielfältige Veränderungen des Hormonspiegels und der Geschlechtsorgane beobachtet (Guillette et al., 1994).
Viele Studien konnten bereits zwischen endokrinen Effekten und Umweltbelastungen einen kausalen Zusammenhang finden. Für Chemikalien, die mit der Funktion der Schilddrüse interagieren, konnte gezeigt werden, dass sie eine gestörte Metamorphose bei Amphibien verursachen (Marsh-Armstrong et al., 2004; Rolland, 2000) und dadurch die Population gefährden. Welche Auswirkungen solche endokrin vermittelten Effekte langfristig haben, wurde es in wenigen Feldstudien untersucht. Ein interessantes Beispiel ist ein siebenjähriges Experiment in einem See, der mit einer umweltrelevanten Konzentration von Ethinylöstradiol versetzt wurde (Kidd et al., 2007). Im Experiment konnte gezeigt werden, dass auch solche niedrigen Konzentrationen einen Zusammenbruch der Dickkopfelritzenpopulation verursachen können. Die hormonellen Effekte wurden im Laufe des Versuchs auf verschiedenen Effektebenen gemessen, so dass man detailliert nachvollziehen konnte, wie dieser Zusammenbruch der Population zustande gekommen ist. Die Entwicklung von schädlichen (adversen) endokrinen Effekten auf verschiedenen biologischen Ebenen wird durch das Konzept der „Adverse Outcome Pathway (AOP)“ erläutert. AOPs liefern Informationen zur Wirkungsweise einer Chemikalie und bilden einen kausalen Zusammenhang zwischen Exposition und nachgeschalteten Effekten auf Zelle, Organ, Organismus und Populationsebene.
4. Wie werden endokrine Disruptoren gesetzlich behandelt?
Bereits in 1990er Jahren prüfte die Europäische Kommission ob endokrine Disruptoren aufgrund ihrer potenziell schwerwiegenden Wirkungen auf Mensch und Umwelt ähnlich wie die sogenannten CMR- und PBT/vPvB-Stoffe gefährlichkeitsbasiert reguliert werden sollen. Mittlerweile sehen drei der vier großen europäischen Stoff-Regulierungen für Pflanzenschutzmittel, Biozide und Chemikalien (REACH) eine gefährlichkeitsbasierte Regulierung endokriner Disruptoren vor.
4.1 Mehr: was bedeutet „gefährlichkeitsbasierte Bewertung“
Das normale Verfahren zur Risikobewertung von Stoffen sieht ein zweistufiges Vorgehen vor: Zunächst wird anhand von Labortests ermittelt, bei welcher Konzentration vermutlich keine Schäden in der Umwelt mehr auftreten (Ermittlung der sogenannten PNEC). Gleichzeitig wird anhand von Modellrechnungen ermittelt, wie hoch die wahrscheinliche Konzentration in der Umwelt ist (Ermittlung der sogenannten PEC). Anschließend werden diese beiden Konzentrationen verglichen. Wenn die Konzentration, die vermutlich in die Umwelt gelangt, kleiner ist als die Konzentration ab der Schäden zu erwarten sind, so wird davon ausgegangen, dass das Risiko für die Umwelt vertretbar ist. Voraussetzung für dieses Verfahren ist, dass PEC und PNEC mit ausreichender Sicherheit bestimmt werden können. Bei manchen Stoffen gilt dieses als so unsicher, dass sie bereits aufgrund ihrer gefährlichen Eigenschaften reguliert werden, unabhängig von der zu erwartenden Konzentration in der Umwelt. Hierzu gehören die CMR- und PBT- Stoffe und eben auch endokrine Disruptoren.
Laut EU Biozid-Verordnung (EU 528/2012) und EU Pestizid-Verordnung (EG 1107/2009) dürfen endokrine Disruptoren aufgrund ihrer gefährlichen Eigenschaften nur in Ausnahmefällen zugelassen, also vermarktet werden.
Unter REACH können sie zulassungspflicht werden. Voraussetzung hierfür ist, dass sie in einem EU-weiten Verfahren als besonders besorgniserregende Stoffe (substances of very high concern) identifiziert und auf die sogenannte Kandidatenliste aufgenommen wurden.
Stoffe auf der Kandidatenliste können ggf. zulassungspflichtig werden. Nach einem Ablaufdatum dürfen diese nur verwendet werden, wenn für die jeweilige Verwendung einem Zulassungsantrag durch die EU Kommission stattgegeben wurde.
Unter welchen Bedingungen ein endokriner Disruptor zugelassen werden kann, wird derzeit von der Europäischen Kommission untersucht. Das UBA hat sich hier klar positioniert: Aus unserer Sicht sollte die Zulassung nur erfolgen, wenn es keine Alternativen gibt und die Nutzen für Mensch, Umwelt und Gesellschaft höher sind als die Risiken (sozio-ökonomische Überlegungen).
• UBA comment on the revision of Article 60 (3) of the REACH legislation according to Article 138 (7)
4.2 Mehr zur Zulassungsroute endokriner Disruptoren
Die REACH Verordnung sieht vor, dass SVHC Stoffe, die zulassungspflichtig sind, nur zugelassen werden können, wenn die Risiken die sich aus den SVHC Eigenschaften ergeben angemessen kontrolliert werden können. Für Stoffe für die bereits geringste Mengen zu einer Wirkung führen (einige CMR Stoffe) und für PBT Stoffe, für die keine unbedenkliche Umweltkonzentration aufgrund von Bewertungsunsicherheiten abgeleitet werden können, ist eine Zulassung unter REACH nur möglich, wenn es keine Alternativen gibt und die Nutzen für Mensch, Umwelt und Gesellschaft höher sind als die Risiken (sozio-ökonomische Route). Für endokrine Disruptoren hatte die Europäische Kommission den Auftrag zu prüfen, ob ähnlich wie für CMR- und PBT- Stoffe eine Zulassung nur über die sozio-ökonomische Route möglich ist. Hintergrund ist die wissenschaftliche und regulatorische Diskussion, ob für endokrine Disruptoren mit ausreichender Sicherheit eine Konzentration abgeleitet werden kann, bei der keine Schäden für Mensch und Umwelt zu erwarten ist.
5. Wie werden endokrine Disruptoren im regulatorischen Sinne definiert?
Wie genau endokrine Disruptoren im regulatorischen Kontext definiert werden sollen, ist derzeit in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion. Die Gesetzestexte geben hier keine eindeutigen Antworten, sie unterscheiden sich sowohl in ihrem Wortlaut als auch in ihren regulatorischen Konsequenzen.
Während unter REACH eine Identifizierung als SVHC als Einzelfallentscheidung individuell begründet werden kann und muss, sehen die Biozid- und Pflanzenschutzmittelverordnungen vor, dass die Kommission Kriterien entwickelt.
Ziel der Kommission ist es, diese Kriterien vollzugsübergreifend einheitlich, also auch für REACH zu entwickeln. Hauptdiskussionspunkt ist dabei, inwieweit neben der WHO/IPCS Definition weitere Kriterien wie z.B. die Wirkstärke der Stoffe in die regulatorische Bewertung einfließen sollen.
Aus Sicht des UBA sollte für die regulatorische Identifizierung von endokrinen Disruptoren nur die WHO/IPCS Definition zugrunde gelegt werden. Eine Berücksichtigung weiterer Kriterien wie z.B. der Wirkstärke ist aus UBA-Sicht wissenschaftlich nicht haltbar. Zusätzlich schlägt das UBA einige Ausnahmen für Pflanzenschutzmittel und Biozide vor und wünscht sich eine weitere Kategorisierung endokriner Disruptoren.
• UBA discussion paper on criteria for endocrine disrupters for wildlife
Die Position des UBA in Bezug auf die Umwelt findet, gemeinsam mit den Überlegungen des BfR zur menschlichen Gesundheit, in einer deutschen, zwischen den Ministerien abgestimmten Position Berücksichtigung.
• DE Position Paper on Endocrine Disruptors
In einem Impact Assessment überprüft die Europäische Kommission seit 2014 welche Auswirkungen verschiedene Kriterien für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden hätte. In einer öffentlichen Konsultation wurde dazu aufgefordert, Beiträge einzureichen. Das UBA hat vollzugsübergreifend für die Umwelt kommentiert.
6. bis 10.
6. Woher wissen wir, ob ein Stoff auf das Hormonsystem wirken kann?
Das UBA hat sich eine Strategie überlegt, wie aus der Vielzahl der unter REACH registrierten/vorregistrierten Stoffe potentielle endokrine Disruptoren ausgewählt werden können. Es werden nur Stoffe weiter untersucht, die in die Umwelt gelangen können.
Der erste Schritt ist das Screening entweder mittels eines Stoffgruppenansatzes oder mithilfe von QSAR Methoden. Gleichzeitig werden natürlich Informationen aus Listen mit endokrinen Stoffen von Nicht-Regierungs-Organisationen wie Chemsec (http://chemsec.org/what-we-do/influencing-public-policy/endocrine-disrupters) oder ED-Listen anderer Staaten genommen. Weiterhin stellt die ECHA jährlich Listen mit ausgewählten Stoffen zusammen, aus denen sich die EU-Mitgliedsstaaten Stoffe aussuchen, für die sie ein sogenanntes Manual Screening durchführen möchten. Das bedeutet, für diese Stoffe wird nach Hinweisen gesucht, die eine endokrine Wirkweise wahrscheinlich machen. Die Hinweise können z.B. in vitro Tests oder Hinweise durch strukturverwandte Stoffe oder QSAR sein.
Je nachdem welchen Daten für die Bewertung des Stoffes vorhanden und wie stark die Hinweise/ Beweise für eine hormonelle Wirkung sind, kann dies entweder keine weiteren Maßnahmen, eine Stoffbewertung oder eine Identifizierung als besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC) bedeuten.
6.1 Mehr Informationen zum weiteren Vorgehen
Nach dem Screening wird über das weitere Vorgehen entschieden. Dabei kann man mehrere Fälle unterscheiden:
• Es erweist sich, dass der Stoff mit hoher Wahrscheinlichkeit kein endokrin wirksamer Stoff ist. In dem Fall ist die Untersuchung beendet.
• Es gibt Hinweise, dass der Stoff endokrin wirksam ist. Es sind aber noch nicht genug Hinweise/ Beweise vorhanden. In dem Fall kommt der Stoff auf den CoRAP (Community Rolling Action Plan). Anschließend wird eine Stoffbewertung durchgeführt, in deren Verlauf weitere Tests auf endokrine Eigenschaften gefordert werden können. Mögliche Ergebnisse der Stoffbewertung sind, dass der Stoff kein endokriner Disruptor ist oder weitere Tests zur Untersuchung auf endokrine Eigenschaften durchgeführt werden müssen oder dass der Stoff ohne weitere Beweise als potentieller endokriner Disruptor identifiziert werden kann. Im letzteren Fall kann sich eine SVHC-Identifizierung anschließen.
• Es sind genug Beweise dafür vorhanden, dass der Stoff ein potentieller endokriner Disruptor ist. Die Identifizierung als besonders besorgniserregender Stoff (SVHC=Substance of Very High Concern) wird begonnen.
Am Anfang einer SVHC-Identifizierung wird eine RMOA (Risk Management Option Analysis) durchgeführt. Im Rahmen der RMOA wird untersucht, durch welche Verwendungen der Stoff in die Umwelt gelangt. Wenn dem UBA diese Daten zur Verfügung stehen, kann später diese Verwendung gezielt reguliert werden. Eine gezielte Regulierung ist für die Registranden oft vorteilhafter als eine allumfassende Regulierung aller Verwendungen. Anhand der vorhandenen Daten versucht man herauszufinden, welche Risikomanagement-Maßnahme für den speziellen Fall am günstigsten ist, d.h. ob letztendlich eine Beschränkung oder eine Aufnahme in den Anhang XIV der REACH-Verordnung angestrebt wird. Stoffe, die in Anhang XIV enthalten sind, können nur nach Zulassung, d.h. nach Abwägung der Umweltgefährdung und der sozio-ökonomischen Auswirkungen, verwendet werden.
7. Wie erfolgt die wissenschaftliche Prüfung endokriner Disruptoren?
Die Prüfung endokriner Wirkungen eines Stoffes erfolgt anhand wissenschaftlicher Studien, die Informationen zur endokrinen Wirkweise und zu endokrinen Effekten in Organismen liefern. Die Relevanz eines Endpunktes und die Zuverlässigkeit dieser Studien werden vom Umweltbundesamt auch bewertet (z.B. Ergebnisse aus Standardtests durchgeführt nach einer OECD Richtlinie werden mit hoher Relevanz berücksichtigt). Bezüglich der Relevanz eines gemessenen Endpunktes orientiert sich das UBA bei der regulatorischen ökotoxikologischen Bewertung von endokrinen Disruptoren an dem fünfstufigen Prüfverfahren des OECD Conceptual Frameworks (OECD; 2012), um den vermuteten kausalen Zusammenhang zwischen Wirkung und Effekten von endokrinen Stoffen nachzuweisen.
Information zur chemischen Struktur kann erste Hinweise geben, ob ein Stoff endokrines Wirkpotential hat. Informationen zwischen chemischer Struktur, endokriner Wirkweise und endokrinen Effekten in Organismen sind notwendig, um eine Bewertung der endokrinen Eigenschaften durchführen zu können. Quelle: Éva Fetter/UBA
7.1 Wie sieht das fünfstufige Prüfverfahren für endokrine Disruptoren aus?
In der ersten Stufe werden dabei existierende Daten und "in silico" Nicht-Test Daten, wie beispielsweise QSAR-Daten, zusammengestellt und ausgewertet. Ergebnisse eines UBA-Forschungsprojekts geben Hinweise, wie die Folgerichtigkeit der in sillico Methoden gewährleistet werden kann.
In der zweiten Stufe werden Ergebnisse aus in vitro Studien herangezogen, sie geben Hinweise auf den Wirkmechanismus der untersuchten Substanzen. Hierzu zählen u.a. die Östrogen- und Androgen Rezeptorbindungsaffinität (OECD TG 455, 457), Reportergen-Studien, Studien zur in vitro Vitellogeninproduktion und der Steroidogenesis-Assay (OECD TG 456), wobei hier Rezeptorbindungstest und Reportergen-Studien die am weitesten verbreiteten sind. Da bei in vitro Verfahren die Gefahr der falsch-negativen Beurteilung des endokrinen Wirkpotentials besteht und um die Auswirkungen auf den Organismus zu prüfen, werden im weiteren Vorgehen die Ergebnisse von in vivo Studien hinzugezogen (siehe auch Forschungsprojekt Bewertung und Regulation von Umwelthormonen).
In den Stufen 3 bis 5 werden in vivo Studien durchgeführt, die Daten zu den spezifischen endokrinen Wirkweisen, den toxischen Effekten an aquatischen Organismen und den toxischen Effekten im gesamten Lebensweg von aquatischen Organismen liefern. Das UBA orientiert sich hier an den Leitlinien des „Guidance Document on Standardised Test Guidelines for Evaluating Chemicals for Endocrine Disruption“(OECD; 2012). Der „21-Day Fish Assay" (OECD TG 230), der „Fish Short Term Reproduction Assay“ (OECD TG 229) und Tests wie der "Fish Sexual Development Test" (FSDT) (OECD TG 234), der 2-Generationen Test und der Reproduktionstest sind dabei aussagekräftig für Fische. Außerdem gibt es einen 21-Tage Test für Amphibien („Amphibian Metamorphosis Assay“-OECD TG 231). Auch die Ergebnisse aus Studien mit Invertebraten werden berücksichtigt. Molekulare Biomarker (wie z.B. Vitellogeninproduktion) können auch Hinweise auf das endokrine Wirkpotential geben. Bei so einem Biotest werden nach der Behandlung mit dem endokrin wirksamen Stoff die RNA oder die Proteine eines Organismus extrahiert und es wird untersucht ob bestimmte hormonsensitive Gene oder Proteine in größeren oder in kleineren Mengen produziert werden.
8. Welche Stoffe bewertet(e) das UBA aufgrund eines ED-Verdachts?
Sowohl im Rahmen von Stoffbewertungen als auch für SVHC-Identifizierungen wählt(e) das Umweltbundesamt Stoffe aus, die im Verdacht standen, hormonell wirksam und für die Umwelt besonders besorgniserregend zu sein.
Im Kontext der Identifizierung von besonders besorgniserregenden Stoffen für die Umwelt identifizierte Deutschland als erster EU-Mitgliedstaat 4-tert-Octylphenol, einen hormonell wirkenden Stoff. Es folgten weitere Stoffe in der Stoffbewertung und SVHC-Identifizierung (siehe Kandidatenliste).
9. Verantwortung der Industrie
Aufgabe der registrierenden Unternehmen (Industrie oder Importeur) nach der REACH Verordnung ist es, die Wirkung der Chemikalien anhand aller verfügbaren Informationen zu ermitteln. Hierzu sind je nach Produktionsvolumen (Tonnage/Jahr) für jede Registrierung Standardtestdaten zu liefern.
Die Leitfragen für die Registranden bei der Stoffsicherheitsbeurteilung (REACH VO Anhang I) sind: Gibt es Hinweise, die eine detaillierte Betrachtung notwendig machen? Sind weitere Tests notwendig, um die schädliche Wirkung ausreichend sicher abschätzen zu können? Ist diese Chemikalie besonders besorgniserregend? [Siehe Vortrag 1, Vortrag 2].
10. Forschungsprojekte
Im Rahmen seiner Ressortforschung fördert und begleitet das UBA verschiedene Forschungsprojekte zur Identifizierung umweltrelevanter ED.
11. bis 13.
11. Glossar
AOP ‒ Adverse Outcome Pathway. AOPs liefern Informationen zur Wirkungsweise einer Chemikalie und bilden einen kausalen Zusammenhang zwischen Exposition und nachgeschalteten Effekten auf Zelle, Organ, Organismus und Populationsebene
CMR ‒ Stoffe die krebserregend (carcinogen), erbgutverändernd (mutagen) sind oder die Fortpflanzung schädigen (reproduktionstoxisch) und somit die Kriterien zur Einstufung und Kennzeichnung als CMR Kategorie 1a erfüllen.
DDT ‒ Dichlordiphenyltrichlorethan wurde ab den 40-er Jahren weltweit gegen Insekten als Nervengift verwendet. Der Stoff verursachte eine Verringerung der Anzahl an ausgebrüteten Vogeleiern und steht unter dem Verdacht, auch krebserregend zu sein. Aufgrund seiner toxischen Eigenschaften, Langlebigkeit und Bioakkumulierbarkeit wurde die Verwendung in den 70-er Jahren in den meisten westlichen Industrieländern verboten. Darüber hinaus hat der Stoff östrogene Wirkweise.
Ethinylöstradiol wird z.B. als Wirkstoff in der Pille verwendet und gelangt somit durch den Urin von Frauen in die Umwelt.
Intersexualität ‒ Bei dieser Sexualdifferenzierungsstörung können die Organismen weder zum männlichen noch zum weiblichen Geschlecht zugeordnet werden.
OECD ‒ Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist eine internationale Organisation von 34 Mitgliedstaaten, die sich neben wirtschaftlichen und politischen Fragen auch mit Umweltthemen beschäftigt und unter anderem auch standardisierte Testmethoden entwickelt.
PBT ‒ persistente, bioakkumulierende und toxische Stoffe. Also Stoffe, die in der Umwelt nicht abgebaut werden, sich dort anreichern und giftig sind. vPvB: sehr persistente und sehr bioakkumulierende Stoffe.
PCB ‒ Polychlorierte Biphenyle sind organische Chlorverbindungen, die in vielen Industrieanwendungen als Hydraulikflüssigkeit oder als Weichmacher eingesetzt wurden. Obwohl sie seit 2001 durch die Stockholmer Konvention weltweit verboten wurden, sind die Stoffe immer noch aufgrund ihrer Langlebigkeit und Bioakkumulierbarkeit in Wildtieren und in der Umwelt zu finden.
PEC ‒ Predicted Environmental Concentration. Die zu erwartende Konzentration in der Umwelt.
PNEC ‒ Predicted No-Effect Concentration. Der Wirkschwellenwert für den Bereich Umwelt gibt die Konzentration des Stoffes in der Umwelt an, bei der noch keine schädlichen Effekte erwartet werden.
QSAR ‒ quantitative Struktur-Wirkungs-Beziehungen. Anhand der Struktur und weiterer Informationen werden die Wirkungen eines Stoffes vorhergesagt.
TBT ‒ Tributylzinn-Verbindungen wurden z.B. in Antifouling-Farben zum Schutz von Schiffen vor Bewuchs verwendet. Bedenklich sind sie aufgrund ihrer endokrinen Eigenschaften, Toxizität, Langlebigkeit und Bioakkumulierbarkeit. Seit 2003 ist ihre Anwendung in der EU in Antifouling - Farben verboten und seit 2006 dürfen sie als Biozid nicht mehr in der EU vermarket werden. TBT wird aber noch in Desinfektionsmitteln, im Materialschutz, in Dachbahnen und Sanitärsilikonen eingesetzt.
12. Literaturverzeichnis
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13. Buchempfehlungen für die breitere Öffentlichkeit
Carson, R., 1962. Der stumme Frühling (Silent Spring). Erstveröffentlichung: Houghton Mifflin, New York, U. S. ‒Das erste Buch für die breitere Öffentlichkeit über Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Vogelpopulation gilt als eines der einflussreichsten Bücher in Umweltthemen.
Colborn, T., Dumanoski, D., Peterson Myers, J., 1996. Our Stolen Future: are we threatening our fertility, intelligence, and survival? A scientific detective story. Pengiun Books USA Inc., New York, U. S. ‒Eine wissenschaftliche Detektivgeschichte über die Effekte von endokrinen Disruptoren auf die Menschen und Wildtieren hat viele regulatorische Initiativen ausgelöst.