FI-I-3: Vorkommen wärmeliebender Arten in Binnengewässern – Fallstudie
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
Trotz stark verminderter Phosphorgehalte kam es am Bodensee-Obersee in Folge des Hitzesommers 2003 zu einer explosiven Vermehrung des wärmeliebenden Karpfens. Vor allem während der Laichzeit und der Entwicklungszeit der Larven verschaffen warme Witterungsbedingungen dem Karpfen Konkurrenzvorteile. Der Berufsfischerei bescherte der warme Sommer in den Folgejahren Rekorderträge.
In der Binnenfischerei inklusive der Aquakultur und Teichwirtschaft spielen die Auswirkungen des Klimawandels bisher eine gegenüber anderen Einflussfaktoren nur untergeordnete Rolle. Für die Fangergebnisse der Seen- und Flussfischerei sind neben den Einflüssen durch den gezielten Besatz mit ausgewählten, fischereilich interessanten Fischarten in erster Linie die Rahmenbedingungen der Fischereiausübung und kostendeckende Vermarktungsmöglichkeiten entscheidend. So werden derzeit Konflikte im Zusammenhang mit der zunehmenden touristischen Nutzung der Gewässer, Fischverluste an Wasserkraftwerken, Einschränkungen der Fischerei durch naturschutzfachlich begründete Nutzungsauflagen oder auch Veränderungen der Nährstoffgehalte der Gewässer sehr viel intensiver diskutiert als die möglichen Auswirkungen der Erderwärmung. Langanhaltende Trockenperioden, die eine Folge des voranschreitenden Klimawandels sind, bedrohen allerdings in zunehmend erkennbarem Maße in Klein- und Kleinstgewässern vorkommende Großmuschel-, Krebs- und Kleinfischpopulationen. Ähnlich ist es in der Aquakultur: Hier gelten die durch den Klimawandel beeinflussten Wassertemperaturen, die Dauer der Eisbedeckung der Winterteiche und die Wasserdurchflussmengen als wichtige Einflussgrößen für die Produktion. Grundsätzlich messen die Fischer*innen und Aquakulturbetriebe der Verbreitung von Fischkrankheiten und den in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark angewachsenen Beständen des Kormorans größere Bedeutung bei. Nichtsdestotrotz gibt es zunehmend Forschungsprojekte, die sich mit den Folgen des Klimawandels auf die Fischfauna in den deutschen Binnengewässern beschäftigen.
In der Binnenfischerei inklusive der Aquakulturen herrschen generell dezentrale Produktionsstrukturen und kleine Betriebsgrößen vor. Daher fehlt es an bundesweiten Daten, aus denen sich in systematischer Weise klimaabhängige Veränderungen zu Verschiebungen in der Artenzusammensetzung der Fischfauna in Fließgewässern und Seen sowie zu den Bedingungen in der Aquakultur ableiten ließen.
Für die Zukunft gehen Fachleute jedoch davon aus, dass der Klimawandel einen zunehmenden Einfluss auf die Fischbestände, die Ertragsbedingungen und die Erträge der Binnenfischerei haben wird88. So haben beispielsweise wärmeliebende Arten, die über den Schiffsverkehr auf Kanälen im Ballastwasser eingeschleppt und verbreitet werden, bei steigenden Wassertemperaturen bessere Etablierungsmöglichkeiten. Für wärmeliebende Arten wie den Karpfen könnten sich die Konkurrenzbedingungen verbessern, während sich für die Bachforelle und andere Arten, die nur in einem engen Bereich niedriger Temperatur existieren können, die Lebensräume bei steigenden Wassertemperaturen einschränken dürften89.
Anhand des Bodensees, für den langjährige Fangstatistiken der Berufsfischerei vorliegen, lässt sich beispielhaft zeigen, dass besonders warme Jahre Veränderungen in der Fischfauna zur Folge haben können. Der Bodensee-Obersee und in ähnlicher Weise auch der Bodensee-Untersee wurden in den letzten Jahren infolge von Maßnahmen der Gewässerreinhaltung wieder zu nährstoffarmen Seen. Der Phosphorgehalt des Bodensees, der Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre noch über 80 mg pro Kubikmeter Wasser betrug, pendelt sich inzwischen auf rund 6–8 mg ein. In solchen Seen werden üblicherweise kaum größere Mengen von Karpfen erwartet.
Der im Jahr 2003 entstandene, überraschend starke Karpfenjahrgang ist daher ganz offensichtlich eine Folge der besonders warmen Bedingungen im Frühjahr und Sommer dieses Jahres. Für eine erfolgreiche Fortpflanzung brauchen Karpfen insbesondere warme Frühjahre90. Speziell im Bodensee ist eine frühe und andauernde Erwärmung des Wassers in der Laichzeit der Karpfen und der sich daran anschließenden Entwicklungszeit der Karpfenlarven selten. In den meisten Jahren folgt auf eine warme Periode im Frühsommer eine kühlere Phase, die mit einer Abkühlung des Sees einhergeht. Solche Bedingungen sind für ein Aufkommen von Jungkarpfen nicht förderlich. Aufgrund der günstigen Bedingungen infolge höherer Temperaturen im Jahr 2003 kam es in den nachfolgenden Jahren zu den höchsten Karpfenerträgen, die seit Bestehen der Berufsfischereistatistik am Bodensee erzielt wurden. Zwischen 1970 und 2003 pendelten die Karpfen-Fangerträge um 800 kg pro Jahr, 2007 wurden mehr als 17.000 kg gefangen. Nach 2009 haben sich die Fangerträge gegenüber der Zeit vor 2003 auf einem deutlich höheren Niveau von etwa 4.000 kg eingependelt. Die warmen Sommer 2014 und 2015 sowie 2018 und 2019 haben sich dann wieder mit einer kurzzeitigen Zunahme des Ertrags in der Fangstatistik niedergeschlagen. Eine so starke Zunahme des Karpfenertrags wie in Folge des Rekordsommers 2003 gab es jedoch nicht. Dies könnte verschiedene Ursachen haben. Zum einen ist der Karpfenertrag ein Indikator, der nicht nur von der Verfügbarkeit der Fische im Bodensee beeinflusst wird. Die Nachfrage nach Karpfen hat ebenso einen starken Einfluss, ob die Fischer*innen diese Fischart fangen. Auch ist die Zahl der Berufsfischer*innen am Bodensee seit Jahren rückläufig. Im Jahr 2002 wurden 152 Fischereipatente91 ausgegeben, im Jahr 2021 waren es noch 66 Hochsee- und 17 Haldenpatente92. Mit der Zahl der Fischer*innen sinkt auch der im Indikator dargestellte Karpfenertrag der Berufsfischerei. Darüber hinaus bestimmen weitere Faktoren die Überlebenschancen der in den warmen Sommern geschlüpften Karpfen und damit den Karpfenertrag in den kommenden Jahren, beispielsweise die Witterung im darauffolgenden Winter sowie die Zahl der Kormorane, eines natürlichen Fressfeinds des Karpfens. Dennoch gilt der Karpfen als Gewinner des Klimawandels.
88 - Fritsch U., Zebisch M., Voß M., Linsenmeier M., Kahlenborn W., Porst, Hölscher L., Wolff A., Hardner U., Schwartz K., Wolf M., Schmuck A., Schönthaler K., Nilson E., Fischer H., Fleischer C. 2021: Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland – Teilbericht 3: Risiken und Anpassung im Cluster Wasser. Umweltbundesamt (Hg.). Climate Change 22/2021, Dessau-Roßlau, 277 S. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-06-10_cc_22-2021_kwra2021_wasser.pdf
89 - Basen T., Chucholl C., Brinker A. 2022: Auf schmalem Grad. Die Zukunft unserer Fische in der Klimakrise. Analysen, Vorhersagen, Handlungsmöglichkeiten. Stuttgart. Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg. 120 S.
90 - Basen et al. 2022, siehe Endnote 89
91 - Landtag von Baden-Württemberg (Hg.) 2013: Antrag der Abg. Reinhold Pix u. a. GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Gewässerschutz, Fischerei und Tourismus am Bodensee.
https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP15/Drucksachen/3000/15_3737_D.pdf
92 - Steiner P. 2022: Die Fischerei im Bodensee-Obersee im Jahr 2021. Gesamtbericht. Bundesamt für Umwelt (Hg.). Bericht zur IBKF, Band 2022. https://www.ibkf.org/wp-content/uploads/2022/06/IBKF-2022_Gesamtbericht.pdf